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Senf Der scharfe Osten

In Ostdeutschland ist der Verbrauch von Senf besonders hoch.

14.10.2015, 23:01

Bautzen (dpa) l Die Ostdeutschen geben zu allerlei gern ihren Senf dazu. Nicht nur zur Wurst, auch als Würze beim Kochen kommt die scharfe Sache häufiger zum Einsatz als im Westen. Mancher liebt Senf sogar als Brotaufstrich. Kein Wunder, dass der Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr zu DDR-Zeiten bei immerhin 1,4 Kilogramm lag, erinnert sich Jörg Dietlein, der Leiter des Bautzener Werkes der Develey Senf und Feinkost GmbH. „Senf gehörte zu den Grundnahrungsmitteln“, sagt er. Deshalb wurde der Preis gestützt. „Zwischen 50 und 55 Pfennige hätte der Becher kosten müssen. Für 37 Pfennige wurde er verkauft.“

Die Gewohnheiten haben sich kaum geändert: Noch heute greifen die Menschen zwischen Kap Arkona und Fichtelberg öfter zu Senf. Marktanalysen von 2006 zufolge werden in Ostdeutschland jährlich 1,290 Kilo pro Haushalt verzehrt, im Westen sind es 940 Gramm.

Als nach 1990 die Geschäfte in der früheren DDR mit westdeutscher Ware überschwemmt wurden, probierten die Verbraucher vieles aus. „Doch sie sind schnell wieder zu ihren altbekannten Produkten zurückgekehrt“, stellt Dietlein fest. „Mit Senf kann man sich offenbar gut identifizieren. Es ist ein Produkt, das Heimat braucht.“

Bautz‘ner Senf ist die beliebteste Sorte im Osten und hat in diesem Gebiet immerhin einen Marktanteil von 64 Prozent, sagt Dietlein. Das seit 1845 bestehende bayerische Familienunternehmen Develey mit mehr als 1000 Mitarbeitern hat 1992 die Marke Bautz‘ner erworben.

Mehr als zwei Millionen der schlichten 200-Milliliter- Plastikbecher laufen in dem ostsächsischen Werk monatlich vom Band. „Bautz‘ner kommt blass daher, weil das die natürliche Farbe von Senf ist“, sagt der Betriebsleiter in Anspielung auf das satte Gelb, das bei westdeutschen Produkten durch die Zugabe von Kurkuma – Gelbwurz – erreicht wird. Außerdem sei ostsächsischer Senf weniger salzig und nicht so sauer.

In 17 Orten Ostdeutschlands wurde zu DDR-Zeiten Senf produziert, weiß Dietlein. Nicht allzu viele Hersteller seien übrig geblieben. Etwa 1000 Tonnen setzt die Jütro Konservenfabrik GmbH & Co. KG im brandenburgischen Jüterbog pro Jahr ab. „Allerdings spielt Senf im Sortiment eine untergeordnete Rolle“, gesteht Geschäftsführer Bernd- Richard Meyer.

Bis 1990 gehörte das Werk in Jüterbog zum VEB Lebensmittelbetriebe Bautzen. Zwei seiner einst fünf Betriebsteile haben den wirtschaftlichen Umbruch nicht überlebt – in Meißen und Magdeburg. Der Standort in Erfurt behauptet sich als Born Feinkost GmbH am Markt. Die Firma hat nach der Wende die Rechte für „Esina“ erworben, eine „traditionsreiche Marke sächsischer Herkunft“, wie Born- Geschäftsführer Hans-Dieter Büttner sagt. Senf und Essig mit dem Namen „Esina“ werden inzwischen unter dem Dach von Born produziert.

„Für die Menschen sind Traditionsmarken wichtig, sie haben das Chaos der Wendezeit überlebt“, urteilt Büttner. Bei drei von vier Bechern Senf, die in Thüringen verkauft werden, stehe heute Born drauf. Zu DDR-Zeiten gab es kaum Alternativen. „Dressings waren völlig unbekannt, Ketchup war Mangelware“, erklärt Büttner den höheren Verbrauch im Osten.

In Thüringen kommt wohl hinzu, dass die Rostbratwurst dort nahezu den Status eines Grundnahrungsmittels hat. „Da braucht man viel Senf“, sagt er. Schon früher sei darauf geachtet worden, dass der Senf gut zur Bratwurst passe, ebenso wie in Bayern, wo Weißwurst und süßer Senf eine einzigartige Geschmacksverbindung bilden.