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Suchtprävention Gestörtes Essverhalten bei Jugendlichen

Essen mit Freude und Genuss ist Jugendlichen mit Essstörungen fremd. Über Ursachen und Folgen diskutieren Lehrer und Schulsozialarbeiter.

Von Gerald Eggert 22.10.2015, 01:00

Halberstadt l Essstörungen bei Teenagern sind auf dem Vormarsch: Schon in der Grundschule ist jedes zweite Mädchen unzufrieden mit seiner Figur. Etwa ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen ist gefährdet, eine Essstörung zu entwickeln, belegen Experten. Essen mit Freude und Genuss ist den betroffenen Kindern und Jugendlichen kaum mehr möglich – vielmehr versuchen sie, psychische Probleme durch ein gestörtes Essverhalten zu bewältigen. Essstörungen haben viele Facetten und sind oft nicht leicht zu erkennen.

Wo hört ein „normaler“ Umgang mit Essen auf, wo fängt eine Essstörung an? Was sind erste Anzeichen? Was kann vorbeugend getan werden? Welche Möglichkeiten haben PädagogInnen, zu helfen und zu handeln und wo liegen die Grenzen? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt einer Fortbildung unter dem Titel „Is(s) was!?“ für Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen. Veranstaltet wurde diese durch das Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt (KgKJH) gemeinsam mit dem Diakonischen Werk des Kirchenkreises Halberstadt (Schulsozialarbeit), dem Paritätischen und der Jugend- und Drogenberatungsstelle (DROBS) in Magdeburg.

Dipl.-Sozialpädagogin Jana Valentin von der Fachstelle Suchtprävention der DROBS machte zunächst auf Warnsignale aufmerksam, die auf Essstörungen hinweisen, und sprach dann über die vielschichtigen Ursachen und Folgen von Magersucht und Essstörungen, die meistens in der Pubertät ihren Höhepunkt erreichen. Den Jugendlichen wird ihr Aussehen wichtiger und das Ansehen bei anderen immer entscheidender. „Hübsch sollen die Mädchen sein, schlank, sportlich, intelligent“, sagt Petra Lorek vom Rauhen Haus, „Äußerlichkeiten spielen die größte Rolle.“

Bei den Kindern entsteht eine verzerrte Körperwahrnehmung, die durch jene Schönheitsideale, welche Medien oder falsche Freunde suggerieren, unterstützt wird. Es gibt aber auch Ereignisse, die das Essverhalten bei Kindern auslösen können. Jana Valentin nannte unter anderem Schulprobleme, Spannungen in der Familie oder seelische Konflikte, ein Umzug, plötzlich fehlende Freunde, der Verlust eines Familienmitglieds oder die Trennung der Eltern.

In der Folge spielen dann zum Beispiel eine tägliche Gewichtskontrolle, Kalorienzählen und eine plötzliche Abneigung gegen „Dickmacher“ eine Rolle, es treten Extreme beim Essverhalten auf, Diät wird zum Dauerthema, bei Sport und Fitnesstraining wird übertrieben.

Im Gruppengespräch äußerten die Teilnehmerinnen ihre Erfahrungen und sprachen dann über Möglichkeiten, wie Betroffenen geholfen werden kann.

Was ist zu tun, wenn der Verdacht besteht, dass bei einer Schülerin oder einem Schüler eine Essstörung vorliegt? Wie sollte man reagieren? Die Unsicherheit bei Mitschülern, Eltern und auch Lehrern ist oft groß. Es sollte das Gespräch gesucht und auf keinen Fall abgewartet werden, waren sich die Teilnehmerinnen einig. Denn je frühzeitiger Betroffene behandelt werden, desto besser.

Mithilfe von „Wenn-Ich-Karten“ wurde die Diskussion weiter angeregt.

Die eigene Ausstrahlung und Wahrnehmung, Schlanksein und Übergewicht, Diät und Gewichtskontrolle, Kalorienrechnen sowie Ernährung und körperliche Aktivitäten zählten zu den Stichwörtern, auf die mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen reagiert wurde.

Nachdem Ursachen und Folgen geklärt waren, ging es um die Prävention.

Die sollte bereits einsetzen „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Weil die Kinder in der Schule die meiste Zeit verbringen, hier miteinander reden, lästern und sich austauschen, auch über Essgewohnheiten und Gewichtsprobleme, sollte die Chance genutzt werden, aufzuklären. Es reiche aber nicht aus, wenn sich nur die Pädagogen damit auseinandersetzen. Es sollte zugleich jede Möglichkeit genutzt werden, auch die Eltern mit ins Boot zu holen, so Jana Valentin.

Denn Eltern spielen dabei eine wichtige Rolle, und leider verschweigen und verdrängen viele von ihnen die Probleme allzu gern.

Eine Einbeziehung der Eltern unterstützt Sandra Spormann, Schulsozialarbeiterin an der Europaschule „Am Gröpertor“. Sie regt einen Elternbrief an, in dem die Eltern motiviert werden, über das Thema nachzudenken. Damit habe sie im Zusammenhang mit anderen Problemen gute Erfahrungen gemacht. „Wenn ich den Eltern unterstelle, dass sie sowieso nichts tun, habe ich schon verloren“, ist eine ihrer Erfahrungen, „also bemühe ich mich um betroffene Eltern und unterstelle ihnen, dass sie etwas verändern wollen.“

Antje Maier, Leiterin des Frauenzentrums „Lilith“ (UFV), verwies darauf, dass es in ihrer Einrichtung und auch im Arbeitskreis Mädchenarbeit seit Jahren thematische Fortbildungen gibt. Sie ist ebenfalls der Meinung, dass rechtzeitig mit Präventionsprogrammen begonnen werden müsse, und nahm wie die anderen Teilnehmerinnen aus der Fortbildung Strategien mit, die genutzt werden können, um Betroffene anzusprechen, zu handeln und zu helfen. Außerdem habe sie Anregungen für das Reagieren auf andere Probleme bei jungen Leuten bekommen.