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Eine bekannte Bühne der Stadt erregt Aufsehen in doppelter Hinsicht Missstand am Theater: Sänger erstattet Anzeige in Berlin

Von Gert Sommerfeldt 08.01.2011, 04:24

Bühnenkunst, das Spiel mit Sein und Schein, mit Prominenten und auch mit Kleindarstellern hat in Magdeburg eine gute Tradition. Das aufstrebende Bürgertum hatte Geld und wollte sich amüsieren nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich.

Altstadt. Eines der beliebten Theater, das Wilhelm-Theater, hatte die Adresse Johannisfahrtstr. Nr. 16. Diese mündete in Höhe der Türme der Johanniskirche von der Berliner Str. und Am Alten Brücktor kommend in die Johannisbergstraße. 1864 nach einer Etagen-Aufstockung aus einem Varieté-Haus mit Café Francaise hervorgehend, wird es nach Ausbruch des Krieges 1870/71 patriotisch umbenannt in "Wilhelm (I.) - Theater" und am 1. Okt 1870 mit dem "Tell" eröffnet als Theater-Varieté. Da viele Volksstücke auf dem Programm stehen, wird es von der Bevölkerung gut angenommen. So bringt es die Fledermaus auf 65 Aufführungen, Gasparone von Millöcker auf 98.

Um die Gunst des Publikums buhlend erfolgen mehrere Umbauten des Hauses, wobei der ursprüngliche Charakter eines Varietés in der Raum-Ausstattung lange bleibt: ein Parterre mit Klappstühlen und Bänken, darüber 2 Ränge mit insgesamt über 1000 Plätzen, ein Orchestergraben, die Wände mit breitgestreiftem farbigem Markisenstoff dekoriert, eine Bühnenbeleuchtung mit Petroleumlampen, Kerzen oder Rüböl. Alles wurde streng polizeilich überprüft.

Während sich die Besucher vor der Bühne am Spiel amüsierten, waren die spiel-, sanitär- und feuertechnischen Bedingungen hinter der Bühne äußerst kritikwürdig.

Wie aus der Bauakte im Stadtarchiv hervorgeht, wurde nicht auf die vorgebrachten kritischen Bemerkungen der Mimen und Musiker gegenüber der Theaterleitung reagiert, so dass der Opernsänger Franz Schuler sich mit einer Anzeige an das königlich-preußische Ministerium des Innern in Berlin wandte. Darin informierte er das "hochgeehrte Ministerium" über die Feuergefährlichkeit des Bühnenraums, die das Schamgefühl verletzenden trostlosen Zustände und sieht es als seine "unbedingte Menschenpflicht an höflichst zu ersuchen, eine unparteiische Kommission einzusetzen".

Und dann führt er auf,

- in den Bühnenraum gelangt man nur aus dem Restaurationszimmer über eine schmale Stiege, die auch nur einziger Ausgang ist

- von der Bühne selbst kein Ausgang, auch keine Notausgänge vorhanden

- Fenster sind so schmal, dass eine erwachsene Person nicht durchgehen kann, so dass im Notfall nur ein kühner Sprung vom Fenster auf das Steinpflaster der Straße möglich ist.

Dann stellt er fest, dass es keine Notleitern nach draußen gibt und damit bei Feuer auf der Bühne bis zu 100 Personen durch Verbrennung oder Erstickung rettungslos verloren sind.

Auch mit der sanitären Ausstattung sah es nicht gut aus. So gab es hier im Wilhelm-Theater für die Schauspieler nur ein einziges "Closet" für Männer und dieses in der Solo-Herrengarderobe, die zugleich als Probezimmer genutzt wurde. Das bedeutete, dass wenn "während der Kostümierung und der Proben das Closet benutzt wird, dann muss erst der Gestank auslüften, erst dann geht die Probe weiter, das ist unwürdig".

Für die Besucher stand um 1909 im 1. Rang auch nur je ein WC für Damen und Herren zur Verfügung.

Eine Überprüfung im Jahre 1910 verwies auf "ernste Besorgnis zur Feuersicherheit", weil keine Brandmauer zum Nachbargrundstück vorhanden sei, da sie eine Einheit mit dem Theater bildete.

Weiterhin wurde bemängelt, dass die Requisiten auf der Bühne gelagert werden, der Orchesterausgang durch Requisiten verstellt ist, kein Notlicht vorhanden und ein Asbestvorhang fehlt.

Später stellte man noch fest, dass die Küche unzureichend in einem Gang liegt und im "Coulissen-Lager" auch noch Kohlen lagern.

Ab 1922 gab es unter Theaterdirektor Heinrich Schuster den Wünschen der Besucher anpassend auch Kammerkonzerte auf offener Bühne und Ringkämpfe.

Ab 1941 wurden unter Kriegsbedingungen bei Platz-Preisen zwischen 0,60 bis 3,00 RM die Besucher "belustigt". Außerdem wurde zentral festgelegt, dass als Luftschutzmaßnahme in der letzten Vorstellung keine Garderobe mehr abgegeben werden durfte.

Wenn es auch viele Missstände hinter den Kulissen gab, das Publikum amüsierte sich vor der Bühne und erfreute sich an Wort und Spiel und bunten Ausstattungen.