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Digitale Medizin gegen Ärztemangel: Online-Diagnose umstritten

13.11.2013, 09:16

Berlin - Ärztemangel besteht längst nicht mehr nur auf dem Land. Ärztliche Hilfe aus der Ferne könnte das Problem lösen, glauben Telemediziner. Doch können Ärzte online Diagnosen stellen? In Deutschland dürfen sie das bislang nur mit Hilfe vor Ort.

Mit Verdacht auf Schlaganfall wird ein Patient in ein Krankenhaus eingeliefert. Er kann seine Arme nicht mehr gleichzeitig bewegen: Während er den rechten ohne Probleme hebt, bleibt der linke liegen. Schlaganfall, urteilt ein Neurologe - ohne den Patienten jemals in natura gesehen oder berührt zu haben. Die Diagnose fällt er per Videokonferenz. Vor Ort assistiert ihm ein Arzt, der auf Schlaganfälle allerdings nicht spezialisiert war. Er schaltete den Spezialisten einer größeren Klinik ein und schickte ihm nach der Voruntersuchung die Daten des Patienten.

Was nach Zukunftsmusik klingt, könnte einer der ersten Schritte zur Digitalisierung der Medizin sein. Online Diagnosen stellen und Ärzte per Videochat unterstützen, das könnte nach Meinung von Vertretern der Telemedizin eine Lösung gegen den
Mangel an Ärzten in ländlichen Regionen sein. "Wir können dadurch ärztliche Expertise dorthin bringen, wo sie nicht vorhanden ist, aber benötigt wird", sagt Wolfgang Loos von der
Deutschen Gesellschaft für Telemedizin. Diagnosen aus dem Netz sind unter Ärzten und Kassen jedoch umstritten.


Die Online-Diagnose von Schlaganfallpatienten wäre ohne den Mediziner vor Ort in Deutschland verboten. Ärzte dürfen keine Diagnosen stellen, ohne einen Patienten jemals unmittelbar behandelt zu haben - das gilt auch für die Telemedizin. So steht es in der Musterberufsordnung für Ärzte.

In anderen Ländern sind Ferndiagnosen ohne unmittelbaren Patientenkontakt gang und gäbe - und legal. In der Schweiz beraten professionelle Ärzte beim Unternehmen
Medgate telefonisch. In manchen Fällen stellen sie auch Rezepte aus. Loos sagt: "Wir glauben, dass sich das irgendwann auch in Deutschland durchsetzen wird."


Ein Aufheben des Fernbehandlungsverbots wird von Ärzten und Kassen kritisch gesehen. "Jeder Patient ist anders. Das kann ich nicht per Ferndiagnose machen", sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Roland Stahl. Der Vorsitzende des Telematik-Ausschusses der Bundesärztekammer, Franz Bartmann, stimmt Stahl zu. "Da, wo ein Arzt mit seinen fünf Sinnen mit einem Patienten in Kontakt treten muss, ist er durch Telemedizin nicht ersetzbar."

Erste Ansätze zum Aufheben des Verbotes gebe es aber auch in Deutschland, sagt Bartmann. Einige kassenärztliche Vereinigungen böten im Notdienst einen Telefon-Service an, der bei eindeutiger Beurteilung des Krankheitsbildes schon am Telefon Behandlungsempfehlungen gebe. "Da wird das Fernbehandlungsverbot schon ein wenig relativiert." Ein Modell à la Medgate ist Bartmann zufolge auf Deutschland nicht zur Gänze übertragbar. Das liege auch an den kulturellen Gewohnheiten. "Der Begriff "Ich geh\' mal schnell zum Arzt" wird hier von vielen wörtlich genommen."

Der digitalen Medizin steht auch das lahmende Internet auf dem Land im Weg. IT-Experten forderten kürzlich in einer Infratest-Studie, das Netz müsse insgesamt deutlich schneller werden - allem voran in ländlichen Regionen, wo es oft schon an der Mindestgeschwindigkeit scheitert. "Auf dem Land gibt es kein vernünftiges Breitband", sagt Infratest-Geschäftsführer Robert Wieland. Dabei werde die gesundheitliche Versorgung immer stärker über Computer stattfinden. "Das ist im Gesundheitssystem erforderlich, um das System überhaupt noch finanzieren zu können."

Telemediziner Loos sagt, die technischen Voraussetzungen zur Bild- und Datenübertragung sind bereits heute gegeben. "Der Kardiologe oder der Chirurg kommt per Videokonferenz ins Pflegeheim - das ist technisch alles möglich." Gesetzlich ist die Idee erst abgesichert, wenn eine Studie den Nutzen telemedizinischer Anwendungen klar definiert. Und diese Studien sind langwierig, zeigt eine gerade begonnene Untersuchung zur Telemedizin bei Herzinsuffizienzpatienten in Berlin und Brandenburg. Mit ersten Ergebnissen wird da erst 2016 gerechnet.

Wann und wie eine Digitalisierung der Medizin auf die Patienten zukommt, ist so noch unklar. "Eines ist aber sicher", sagt Bartmann von der Bundesärztekammer. "Wir können nicht mehr in jedem 800-Seelen-Ort für die medizinische Grundversorgung einen kompletten Arztsitz vorhalten." Ärzte in festen Immobilien werden seiner Meinung nach nicht allein die Lösung sein. Medgate jedenfalls wirbt im Internet schon einmal so: "Unser Ärzteteam erreichen Sie jederzeit und auch aus dem Ausland."


eHealth und Telemedizin
Unter dem Oberbegriff "eHealth" werden alle medizinischen Anwendungen zusammengefasst, mit denen Patienten mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologien behandelt und beraten werden. Durch eine Digitalisierung der Medizin soll es Ärzten erleichtert werden, der Behandlung einer zunehmenden Zahl von älteren und chronisch kranken Menschen Herr zu werden - vor allem auf dem Land.

Zu eHealth zählt in erster Linie die Telemedizin. Laut Bundesgesundheitsministerium soll sie "vor allem für den ländlichen Raum wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung" werden. Heißt im Klartext: Da nicht überall Fachärzte eingesetzt werden können, sollen Mediziner aus der Ferne helfen. Spezialisten können beispielsweise von Ärzten in ländlichen Regionen per Videokonferenz bei der Diagnose bei Schlaganfallpatienten zu Hilfe gezogen werden.

Ärzte und Krankenkassen sollen prüfen, inwieweit Teile der Telemedizin sinnvoll sind. Die meisten telemedizinischen Anwendungen werden von den Kassen bislang nicht finanziert. Es fehlt an Studien, die zeigen, dass telemedizinische Behandlungen etwas bewirken.