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Neuer Manipulationsverdacht - Wie werden Spenderorgane verteilt?

22.08.2014, 12:16
Jeder Patient, der auf eine Organspende wartet, wird bundesweit in einer Liste geführt. Damit soll erreicht werden, dass gespendete
Organe nur nach medizinischer Notwendigkeit und nicht gegen hohe
Summen vergeben werden. Foto: Jens Kalaene
Jeder Patient, der auf eine Organspende wartet, wird bundesweit in einer Liste geführt. Damit soll erreicht werden, dass gespendete Organe nur nach medizinischer Notwendigkeit und nicht gegen hohe Summen vergeben werden. Foto: Jens Kalaene dpa-Zentralbild

Berlin - Deutschland hat einen neuen Organspende-Skandal. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen möglicher manipulierter Dringlichkeitslisten am Deutschen Herzzentrum Berlin. Doch nach welchen Kriterien werden Organe überhaupt vergeben? Und wer ist zuständig?

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat wegen versuchten Totschlags Ermittlungen gegen das
Deutsche Herzzentrum aufgenommen, eine der weltweit führenden Kliniken zur Behandlung von Herzkranken. Es gehe um den Verdacht, dass die Rangfolge auf Wartelisten für Herztransplantationen manipuliert wurde, sagte Staatsanwaltschafts-Sprecher Martin Steltner am Freitag (22. August). Geprüft werde, ob Patienten auf der Liste bevorzugt wurden, während andere nach hinten rutschten und damit in Lebensgefahr gerieten. Ermittelt werde auch, ob Patienten wegen möglicher Manipulationen starben.


Rund 11 000 Menschen in Deutschland warten nach
Angaben der Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) derzeit auf ein Spenderorgan. Alle acht Stunden stirbt einer von ihnen, weil kein Organ rechtzeitig zur Verfügung steht. Die Patienten stehen auf Wartelisten, anhand derer die gespendeten Organe zugeteilt werden.


Vermittlung der Spenderorgane:Zuständig für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern ist die Stiftung
Eurotransplant (ET) mit Sitz in Leiden in den Niederlanden. Sie registriert alle Patienten in den Mitgliedsländern, die auf ein Organ warten. Die Transplantationen in Deutschland koordiniert die DSO in Frankfurt. Für die Aufnahme eines Patienten auf die Warteliste und die postmortale
Organvermittlung in Deutschland hat die Bundesärztekammer (BÄK) Richtlinien erlassen, Grundlage ist das Transplantationsgesetz.


Vergabekriterien für die Organe: Nicht jeder Patient, der ein neues Organ braucht, kommt automatisch auf die Warteliste, erläutert die DSO. Die Ärzte wägen zuvor das Risiko der Transplantation und ihrer Nachbehandlung ab: Ist es zu hoch und sind die Erfolgsaussichten schlecht, kommt die Operation nicht in Betracht. Neben den Erfolgsaussichten ist nach Angaben von Eurotransplant auch die Dringlichkeit von besonderer Bedeutung, da ein schwer kranker Patient ohne Spenderorgan unmittelbar sterben würde.


Außerdem muss das Organ zum Empfänger passen. Zentral ist laut ET, dass die Gewebemerkmale zwischen Spender und Empfänger übereinstimmen, zum Beispiel bei Nieren. Ebenso müssen bei manchen Organen Größe und Gewicht von Spender und Empfänger zusammenpassen. Die Blutgruppe ist ebenfalls ein Kriterium.

Informationsmöglichkeiten des Patienten: Der Patient darf nach Angaben von ET immer in seine allgemeine Krankenakte Einsicht nehmen. Die für die Transplantation relevanten Daten werden zusätzlich im EDV-System von Eurotransplant (ENIS) gespeichert. Davon müsse der Patient bei Aufnahme auf die Warteliste informiert werden, und er müsse sein Einverständnis dazu erteilen.


Der Patient kann jedoch nicht unmittelbar Einsicht in das ENIS-System nehmen. Entweder bittet er seinen Arzt um einen Ausdruck seiner Daten in ENIS oder er wendet sich unmittelbar an ET. Ist er ausreichend legitimiert, stellt die Stiftung ihm die Daten zur Verfügung.


Folgen des Organspende-Skandals in Deutschland
Im Juli 2012 kam ans Licht, dass zwei Mediziner der Göttinger Universitätsklinik Akten gefälscht und eigene Patienten beim Empfang von Spenderlebern bevorzugt haben sollen. Anschließend wurden Manipulationen bei der Organvergabe in weiteren Krankenhäusern bekannt.

Danach ging die Zahl der Spender immer weiter zurück. Mit 2013 nur noch 876 Organspendern (2012: 1046; 2011: 1200) erreichte die Zahl einen historischen Tiefstand. In diesem Jahr setzte sich diese Tendenz fort: Von Januar bis Juli gab es 513 Spender (Vergleichszeitraum 2013: 548).

Als Folge des Skandals wurde 2012 das Transplantationsgesetz umfangreich reformiert. Möglichst jeder Bundesbürger soll nun seine Bereitschaft zur Spende erklären - aber ohne Zwang, sich entscheiden zu müssen. Alle bekommen von ihrer Krankenkasse dementsprechend Post.

In allen Kliniken sind nun Transplantationsbeauftragte Pflicht, um mögliche Spender zu identifizieren und den Gesamtprozess der Organspende zu koordinieren. Für falsche Angaben zu Patienten, die auf ein Organ warten, drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren.