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90. Geburtstag Biograf: "Martin Walser ist kein Gesellschaftskritiker"

Martin Walser ist in der Vergangenheit mit zahlreichen Etiketten bedacht worden: Er galt als Kommunist, als Nationalist, sogar als antisemitisch. Vor allem wird er als strenger Gesellschaftskritiker wahrgenommen - dabei stimmt das gar nicht, sagt sein Biograf.

23.03.2017, 21:59

Berlin (dpa) - Martin Walser wird in der Öffentlichkeit gerne als Gesellschaftskritiker wahrgenommen - aus Sicht seines Biografen stimmt dieses Bild aber gar nicht. "Das ist eigentlich ein großes Missverständnis", sagt Jörg Magenau, dessen Walser-Biografie 2005 erschien.

Der Schriftsteller werde oft für einen kritischen Intellektuellen gehalten, der sich immer wieder in politische Dinge einmische. "Das tut er eigentlich gar nicht. Walser spricht nicht über Politik oder über Meinungen. Er sagt auch nicht: So und so soll eine Sache gesehen werden. Er spricht meistens über sich selbst und wie es ihm mit etwas geht, also über seine Befindlichkeit."

Walser sei mehr "Zustimmungskünstler als Gesellschaftskritiker", sagt Magenau. "Für sein Schreiben gilt: Die Dinge schöner machen, als sie wirklich sind, damit sie einen weißen Schatten werfen. Das ist eigentlich ein affirmatives Programm, das auch für seine politischen Statements und seine Essayistik gilt."

Für seine Äußerungen musste Walser in der Vergangenheit allerdings immer wieder harte Kritik einstecken: Er galt mitunter als Kommunist, als Nationalist, sogar als antisemitisch. Diese Kontroversen seien unter anderem auch deshalb ausgelöst worden, weil Walser seiner Zeit oft um ein paar Jahre voraus sei, sagt Magenau. "Er sagt Sachen, die in dem Moment, in dem er sie sagt, anstößig sind - die aber zehn Jahre später zum gesellschaftlichen Konsens werden." Ein Beispiel sei die Paulskirchenrede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von 1998, in der Walser vor einer "Instrumentalisierung" von Auschwitz warnte.

Walser rühre immer wieder an wunde Punkte der öffentlichen Meinung, indem er etwas sage, wofür die Zeit noch nicht reif sei. "Und dann kriegt er einen auf den Deckel." Zudem sei der Autor sehr verletzbar. "So wie er der Welt zustimmt, um sie schöner machen zu können, so will er auch, dass ihm zugestimmt wird", sagt Magenau. "Und wenn er erlebt, dass das nicht so ist, dann ist er verletzt. Deshalb macht er Literatur. Deshalb schreibt er Romane. Denn dort können die Figuren das sagen, was er selbst sagen möchte. Das ist wie ein Testballon, den man losschicken kann."