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Alles ist ein Zeichen Der Unfalltod des Autors: Krimisatire über Sprache

Asyndeton, Metonymie, Zeugma: Barthes lesen ist das eine, verstehen das andere. Nach dessen dubiosem Tod muss Kommissar Bayard in "Die siebte Sprachfunktion" tief in die Linguistik eintauchen. Doch er hat keinen Schimmer und dringend Hilfe nötig.

Von Sebastian Fischer, dpa 17.01.2017, 14:07

Berlin (dpa) - Der Autor ist tot. Nicht etwa im übertragenen Sinne, wie der französische Sprachforscher Roland Barthes einmal die Bedeutung eines Schriftstellers für dessen eigenes Werk drastisch herunterspielte - sondern tatsächlich. Und zwar er selbst.

Barthes' Ende naht am 25. Februar 1980 mit einem Lieferwagen auf der Pariser Rue des Écoles, vier Wochen später stirbt er.

Laurent Binet setzt in seinem jüngst auf Deutsch erschienenen Roman "Die siebte Sprachfunktion" an jenem "schrecklich dumpfen Laut von Fleisch gegen Karosserieblech" an. In seinem Roman beginnt mit dem Ende eines der bedeutendsten Wissenschaftler in Sachen Text und Struktur ein Kriminalfall höchster Brisanz. Es handelt sich um Mord.

Ganz im Sinne der Theorie Barthes', nach der ein Zeichen je nach Leser ganz unterschiedlich interpretiert werden könne, bedient sich Binet eines Kunstgriffs. Die Semiotik sei ein Taschenspielertrick, schreibt er über die Wissenschaft der Zeichen. Und so interpretiert der Franzose die Unachtsamkeit Barthes', seine Hektik und Kopflosigkeit beim Überqueren der Rue des Écoles als den Anfang einer wechselvollen, amüsanten und augenzwinkernden Mördersatire - samt Geheimagenten und Verfolgungsjagden à la James Bond.

Mittendrin: Jacques Bayard. Der Kommissar erfährt, dass Barthes einen heiklen Aufsatz besaß, der den sechs Funktionen, wie Sprache angewandt werden kann, noch eine weitere hinzufügt. "Wer diese Funktion kennt und beherrscht, wäre praktisch der Herr der Welt", heißt es. "Er könnte sich bei jeder Wahl wählen lassen, könnte die Massen mobilisieren, Revolutionen auslösen, Frauen verführen, jedes beliebige vorstellbare Produkt verkaufen, Imperien errichten, die ganze Welt betrügen, alles bekommen, was er will."

Mit der Hilfe des jungen Sprachwissenschaftlers Simon Herzog mischt sich der Ermittler unter die Crème de la Crème der französischen Poststrukturalisten: Jacques Derrida, Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jacques Lacan, Bernard-Henri Lévy, Julia Kristeva, Philippe Sollers - es ist ein Stelldichein des damaligen Kulturbetriebs, den Binet mitunter mächtig durch den Kakao zieht und dekonstruiert.

Schon in seinem Debüt verwandelte der Autor ein historisches Ereignis in Literatur. Der Roman "HHhH" über das Attentat auf die NS-Größe Reinhard Heydrich wurde zum Triumph. Für den historisch präzisen Thriller mit postmodernen Erzählsequenzen gewann Binet 2010 den prestigeträchtigen Prix Goncourt. Auch für "La Septième Fonction du langage", wie der aktuelle Roman auf Französisch heißt, erhielt der 44-Jährige in seinem Heimatland bereits einige Preise.

"Die Siebte Sprachfunktion" ist nicht nur ein feiner Krimi und ein ironisches Gemälde der französischen Kultur und Politik am Anfang der 1980er Jahre. In der Natur der Sache liegt auch, dass der Roman nur so von Zeichen und Meta-Sprache wimmelt.

Zugang zum geheimnisvollen Logos-Club etwa, einer hierarchisch organisierten Rhetorik-Loge, erhalten Bayard und Herzog nur über das Passwort "fifty cents" (die Anfangsbuchstaben L und C als römische Ziffern). Der Eintritt erfolgt um "Null Uhr 07" (James Bond). Später, nach einer Explosion, taucht Bayard aus den Trümmern auf, "massig, mit dem Ausdruck von Kraft und ideologisch aufgeladener stummer Wut, einen bewusstlosen jungen Mann auf dem Rücken tragend" (Bruce Willis). Die Hinweise wechseln zwischen Pop- und Hochkultur.

Einmal erhalten Bayard und Herzog Hilfe vom italienischen Linguisten Umberto Eco. Doch dessen Geist schweift ab, als "das Bild von einem vergifteten Mönch" vorbeihuscht. Da spätestens zeigt sich Binets Vorbild: Wie in Ecos Klosterroman "Der Name der Rose" die Suche nach einem verschollenen Aristoteles-Werk einige Verbrechen nach sich zieht, so ist hier der Barthes-Aufsatz Ausgangspunkt der Mordserie.

Alles in "Die siebte Sprachfunktion" ist ein Zeichen. Semiotiker werden sich die Hände reiben. Literaturwissenschaftler sowieso. Binet versteht die theoretische Klaviatur der Linguistik - und setzt sie literarisch um. Dann darf es auch einmal im Ausruf gipfeln: "Wie schön ist mein Zeugma! Wie schön mein Asyndeton!"

- Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion. Rowohlt, 528 S., 22,95 Euro, ISBN 978-3-498-00676-1.

Rowohlt über "Die siebte Sprachfunktion"