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Fragen der Hautfarbe Toni Morrison erzählt von Diskriminierung und Verbrechen

Eine junge Frau mit ungewöhnlichen Merkmalen steht im Mittelpunkt von Toni Morrisons neuem Roman "Gott, hilf dem Kind". Um diese Figur herum entwirft sie ein düsteres Bild amerikanischer Familien in einer gespaltenen Gesellschaft.

Von Axel Knönagel, dpa 02.05.2017, 10:00

Berlin (dpa) – Toni Morrison ist so etwas wie die große alte Dame der amerikanischen Gegenwartsliteratur. 1993 wurde sie als erste Afroamerikanerin mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, und jede Veröffentlichung eines ihrer wenigen Bücher findet weltweit große Beachtung.

Das große Thema der mittlerweile 86-Jährigen ist das Leben in einer Gesellschaft, die sich in allererster Linie durch Hautfarbe definiert.

Auch in ihrem neuen Roman, "Gott, hilf dem Kind", spielt die Hautfarbe der Hauptfigur eine zentrale Rolle. Vom Tag ihrer Geburt an ist die kleine Lula Ann ein Schock für ihre Mutter: "Sie war so schwarz, dass sie mir Angst machte. Mitternachtsschwarz, sudanesisch schwarz."

Die Folgen, die diese Hautfarbe für das kleine Mädchen hat, sind dramatisch. Der Vater verlässt die Familie, und die Mutter schafft es nicht, eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen. Es kostet sie einige Überwindung, das Mädchen zu berühren, und sie lässt sich von ihrer Tochter nicht Mutter nennen, sondern "Sweetness" – Süße.

Nach diesem beeindruckenden Auftakt springt die Erzählung rund zwei Jahrzehnte weiter. Lula Ann Brideswell hat ihren Namen zu "Bride" verkürzt und eine steile Karriere in der Kosmetikbranche gemacht. Und ihre Hautfarbe setzt sie zu ihrem Vorteil ein. Sie trägt ausschließlich weiße Kleider, die ihre besondere Erscheinung noch weiter betonen.

Es sieht so aus, als sei Brides Leben zum Erfolg geworden, aber dieser Erfolg ist nur eine Fassade, die innerhalb kürzester Zeit zusammenbricht. Ihr Freund Booker verlässt sie mit dem Satz "Du bist nicht die Frau, die ich will", und für Bride stellt sich die Frage, wer sie eigentlich ist. Ihr wird klar, dass ihr Leben nur von Äußerlichkeiten bestimmt war, sie aber Inhalte benötigt, um ihr Glück finden zu können.

Also macht sie sich auf die Suche nach Booker, dem einzigen Menschen, der ihr tatsächlich einmal nahegekommen ist. Auf ihrer Suche strandet sie nach einem Autounfall bei einem Pärchen, das zufrieden in einfachsten Verhältnissen lebt. Erst allmählich öffnet Bride sich der neuen Erfahrung und erkennt das Glück, das in menschlicher Gemeinschaft liegen kann.

Aber mitten hinein in dieses sich langsam entwickelnde Idyll platziert Toni Morrison das zweite Kernthema ihres Romans. Das Mädchen Rain, das bei dem Paar lebt, erzählt von einer schlimmen Vergangenheit, die ihre Mutter, eine Prostituierte, ihr eingebrockt hat. Und auch in Bookers Leben, das der Roman in einem längeren Kapitel erzählt, spielen Gefühlskälte um Kindesmissbrauch eine wichtige Rolle.

Toni Morrison hat den Roman als Puzzle aus vielen Bruchstücken, Zeitebenen und Stimmen gestaltet. Bride erzählt einen Großteil ihrer Geschichte selbst, aber auch ihre Mutter, eine Mitarbeiterin und andere Figuren erzählen Passagen aus ihrer Sicht. Hinzu kommt eine nicht benannte Stimme, die alles in der dritten Person erzählt.

"Gott, hilf dem Kind" ist gerade einmal 200 Seiten lang, aber vieles wird nur angedeutet. Die Meisterschaft der Autorin zeigt sich auch in dieser Erzählweise. Morrison macht es ihren Lesern nicht leicht, aber wie immer bei ihren Werken lohnt sich die Mühe außerordentlich.

- Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind. Rowohlt Verlag, Reinbek, 208 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3498045319.

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