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Derbe Sprache Zaimoglus "Evangelio" - Der Teufel in Luthers Stube

Der türkischstämmige Autor Feridun Zaimoglu hat einen Roman über Martin Luther geschrieben. Zaimoglu hat sich dafür die Sprache des 16. Jahrhunderts angeeignet. Wer sich auf die beschwerliche Lektüre einlässt, taucht tief in die Welt Luthers ein.

Von Dorothea Hülsmeier, dpa 28.03.2017, 15:09

Düsseldorf (dpa) - Martin Luther hoch auf der Wartburg, der ehemalige Augustiner-Mönch ist für vogelfrei erklärt worden. Von Mai 1521 bis zum März 1522 findet Luther als Junker Jörg Zuflucht auf der Burg über Eisenach und übersetzt in nur zehn Wochen das Neue Testament ins Deutsche.

Luther tobt, er schwitzt im ungewohnten Junkerwams, der Teufel greift ihn auf vielerlei Weise an. Der Reformator leidet an schwerer Verstopfung, kämpft mit seiner Sexualität, er hasst die Jagd - und er zweifelt an sich.

Dieser aufbrausende Luther, wie ihn Feridun Zaimoglu in seinem neuen Roman "Evangelio" beschreibt, entspricht so gar nicht der Lichtgestalt, als die er zum 500. Jahrestag der Reformation oft gezeichnet wird. Zaimoglu (52) führt Luther als Mensch seiner Zeit vor, verstrickt in einen mittelalterlichen Aberglauben, belagert von Dämonen und Teufeln. Sobald es draußen poltert oder ein schwarzer Hund in der Burg herumstreunt, glaubt er, der Leibhaftige sei da. "Ein übler Teufel hat mir zugesetzt", spricht er. "In der Schlafstube ist er gewesen, heute Nacht."

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive des fiktiven Landsknechts Burkhard erzählt, der Luther als Beschützer zur Seite gestellt worden ist. Burkhard ist ein grobschlächtiger, aber tiefgläubiger Katholik, dem es fast körperliche Schmerzen bereitet, über das Leben des "Ketzers" wachen zu müssen. Burkhards Sicht auf Luther ist nicht ehrfürchtig, und das macht das Bild des Reformators so glaubwürdig.

Wie kein anderer Schriftsteller hat sich der türkischstämmge bekennende Moslem Zaimoglu der Zeit und Sprache Luthers angenähert und ist tief in die Welt der christlichen Bildsprache und des Aberglaubens eingetaucht. Zaimoglu, der schon als Jugendlicher von Luthers Sprachkraft fasziniert war, las die Sendbriefe des Reformators, die Schriften seiner Zeitgenossen und besuchte historische Schauplätze in Eisenach und Wittenberg.

Für den Leser ist der Roman mit seinem gewöhnungsbedürftigen Satzbau und den altertümlichen Wendungen eine Herausforderung, die ohne deutsch-deutsches Wörterbuch kaum zu meistern ist. Oder weiß jeder heutzutage, was ein "Bader" war und was "Menschenschmalz", "Schadenweiber" oder "Katzbalger" oder "Brunz" bedeuten?

Armut, Dreck, Elend, Krankheit, Gewalt, Folter, Henker, die Pest - diese spätmittelalterliche Welt kommt in einer derben Sprache so nah in "Evangelio", dass es einen immer wieder schaudert. Einen "wohnzimmertauglichen Luther mit seinem netten Kräutergarten" wollte Zaimoglu nicht bieten. "Ich habe mir vorgenommen, Schrecken und Schauder der damaligen Zeit zu beschreiben, um die Leistung dieses aufbrausenden Gottesmannes Luther zu würdigen", sagt Zaimoglu der Deutschen Presse-Agentur.

Doch vor allem geht es Zaimoglu um Sprache. "Man kann die Welt zur Zeit Luthers und diesen Glauben nicht verstehen, wenn man sich nicht die Mühe macht - und es ist mit Mühe verbunden - die Sprache zu verstehen." Zaimoglu hat diese Sprache so verinnerlicht, dass die eingestreuten Briefe Luthers an seine Vertrauensleute Georg Spalatin und Philipp Melanchthon wie authentische Zeitdokumente erscheinen. Aber auch sie sind frei erfunden.

Für Zaimoglu, der von "Kanak Sprak" über "Leyla" bis "Siebentürmeviertel" seine Sprachkunst immer wieder demonstriert hat, ist "Evangelio" ein Beweis, dass er es wirklich Ernst meint mit seinem Satz "Deutsch ist meins". Es sei eben kein hohles Bekenntnis, wenn er sage: "Deutsch ist die Sprache meiner Seele."

- Feridun Zaimoglu: Evangelio, Ein Luther-Roman, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-462-05010-3

Website Feridun Zaimoglu

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