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Sprachtherapie mal anders Künstler sammelt überflüssige Worte

Die einen geben Konferenz-Blaba ab, andere überflüssige Füllwörter, ungeliebte Spitznamen oder ihren Schnupfen. Dafür bekommen sie Brief und Siegel - und ein schönes, neues, unverbrauchtes Wort aus einer Fantasiesprache.

Von Sandra Trauner, dpa 20.10.2016, 10:51

Frankfurt/Main (dpa) - Eigentlich ist das verhassteste Wort der deutschen Sprache. In Dirk Hülstrunks Büro für überflüssige Worte wird kein Begriff so häufig symbolisch abgegeben wie dieses.

Noch bis zum Wochenende sammelt der Frankfurter Performancekünstler im Begleitprogramm der Buchmesse Worte ein, die Besucher am liebsten aus der deutschen Sprache verbannt sehen würden.

Ein Künstler aus dem ehemals günstigen, jetzt hippen Frankfurter Stadtteil Gallus gibt Gentrifizierung ab. Ich kann's nicht mehr hören, sagt Michael Blöck und stempelt energisch in Neon-Pink das Wort überflüssig quer über sein persönliches Unwort. Karin Künstner, die Deutsch für Ausländer unterrichtet, schreibt völkisch auf ihre Karte - weil ich das furchtbar finde, dass so Nazisprache wieder verwendet wird. Eine passionierte Feuilleton-Leserin stört sich an konnotiert - weil es jeder ständig benutzt, sobald es ein bisschen intellektueller sein soll, sagt Irene Kessler-Stenger.

Sie müssen unterschreiben, erklärt Hülstrunk seinen Kunden und heftet dann die Karte an die Pinnwand hinter seinem Schreibtisch. Sale hängt schon dort, gefühlig, Konsolidierungsbeitrag und natürlich eigentlich. Dann greift er in seinen Karteikasten und gibt den Kunden ein neues Wort für das abgegebene alte. Flitapof für Gentrifizierung, Jizötisumidan für völkisch und foginänik für konnotiert. Und was bedeutet das?, fragt Karin Künstner verwirrt. Nichts, sagt Hülstrunk, es sei ein Wort aus einer Fantasiesprache. Sie können es mit einer neuen Bedeutung aufladen.

Ein Schreibtisch und eine Topfpflanze, Stempel und Stempelkissen, eine Pinnwand, ein Karteikasten, fertig ist das mobile Büro für überflüssige Worte. Zum ersten Mal hat Hülstrunk es im vergangenen Jahr auf einem Straßenkunst-Festival in Finnland aufgebaut. In Deutschland war er schon in einer Stadtbibliothek und bei der Industrie- und Handelskammer zu Gast. Nun ist seine sprachkritische Aktion Teil des offiziellen Buchmessen-Begleitprogramms Open Books.

Als Anlass, über Sprache ins Gespräch zu kommen sieht der Songpoet, Autor, Schreibwerkstatt-Leiter und Poetry-Slam-Veranstalter seine Aktion. Er hofft, dass sein Büro auch eine kleine sprach-therapeutische Wirkung hat. Welche Worte abgegeben werden, hängt vor allem vom Ort ab, wo das Büro sich gerade befindet, und dem Personenkreis, der dort verkehrt. Teilnehmer von Kongressen gaben häufig Worthülsen wie durchaus ab. Senioren störten sich an dem flapsigen Hallo. Sprachschüler hatten Probleme mit vielen Umlauten wie in Frühstück. Schüler bringen Schimpfwörter oder verhasste Spitznamen wie Schätzchen.

Auch Bürokratie-Monster wie Bundesdurchschnittskostensatz werden gern abgegeben. Überraschend findet Hülstrunk, dass - anders als er es erwartete - kaum Anglizismen abgegeben werden. Häufig gehe es um persönliche Befindlichkeiten, sagt Hülstrunk - manchmal habe das Abgeben ungeliebter Worte aber auch einen sprachmagischen Aspekt: Die Leute denken, wenn das Wort weg ist, ist auch die Sache aus der Welt. Sie geben dann Krieg ab oder ihren Schnupfen.

Dirk Hülstrunk

Open Books