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Erdbeben in Italien Ein „Leckerbissen“ für Kriminelle

Nach dem Erdbeben in Italien fordern Politiker Regeln für den Wiederaufbau. Ein Staatsanwalt warnt, dass sich die Mafia bereichern könnte.

28.08.2016, 23:01

Ascoli Piceno/Amatrice (dpa) l Nach der Erdbebenkatastrophe mit mindestens 290 Toten bereitet sich Italien auf den milliardenschweren Wiederaufbau vor. Dabei dürften die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden, mahnten Spitzenpolitiker am Sonntag. Mit einem Staatsbegräbnis hatte das Land am Wochenende Abschied von den Opfern genommen. Zur zentralen Trauerfeier kamen auch Staatspräsident Sergio Mattarella und Regierungschef Matteo Renzi in die Stadt Ascoli Piceno. Vor ihnen standen aufgereiht 35 mit Blumen geschmückte Särge, daneben weinende Angehörige. Papst Franziskus will demnächst die Erdbebenregion besuchen.

Nach den schwersten Erdstößen in der Nacht zum Mittwoch und mehr als 1300 Nachbeben liegen ganze Ortschaften in den Regionen Latium und Marken in Schutt und Asche, etwa 2500 Menschen wurden obdachlos. Fast 400 Menschen wurden in Krankenhäusern behandelt.

Der oberste Anti-Mafia-Staatsanwalt des Landes hat nach dem Erdbeben in Zentralitalien vor einer Beteiligung Krimineller am Wiederaufbau gewarnt. „Der Wiederaufbau nach einem Erdbeben ist traditionell ein Leckerbissen für Kriminelle und ihre verbündeten Geschäftspartner“, sagte Franco Roberti in einem Interview der Zeitung „La Repubblica“. Jedoch stünden einer möglichen Mafia-Verstrickung mittlerweile Behörden und Ermittler viel stärker entgegen als in der Vergangenheit.

Der Skandal nach dem Erdbeben von Irpinia im Jahr 1980 werde sich nicht wiederholen, so Roberti. Bei dem Beben in den Regionen Kampanien und Basilikata kamen rund 3000 Menschen ums Leben. Spendengelder wurden danach jedoch von korrupten Politikern und der Mafia im großen Stil veruntreut. Nach der Erdbeben-Katastrophe von L‘Aquila im Jahr 2009, bei der 309 Menschen umkamen, sei der Wiederaufbau besser organisiert worden.

Nach Angaben von Forschern muss in Mittelitalien im Schnitt alle zehn Jahre mit einem Erdbeben der Stärke 6 und mehr gerechnet werden. Mehr als 50 Prozent der Privatwohnungen in Italien entsprechen nach Berechnungen des Nationalen Ingenieurrats nicht den Sicherheitsbestimmungen. Allein die Erdbebensicherung von Wohngebäuden in den am meisten gefährdeten Gegenden könnte demnach bis zu 36 Milliarden Euro kosten.

In den erdbebengefährdeten Regionen sei „ohne Vernunft und Voraussicht“ gebaut worden, kritisierte der frühere italienische Regierungschef und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Er forderte einen 30-Jahr-Plan für sein Land, konkrete Regeln für Programme und Finanzmittel und klare Zuständigkeiten von Staat, Regionen und Kommunen.

Die Regierung in Rom forderte von der EU eine Lockerung der Stabilitätskriterien. So könnten zusätzliche Gelder in die Erdbebensicherung von Gebäuden fließen, hieß es aus Regierungskreisen. In den EU-Defizitregeln gibt es bereits Ausnahmen bei Naturkatastrophen und Wiederaufbau. Rom will nun um eine Ausweitung der Regeln auf die präventive Erdbebensicherung bitten, sagte Claudio De Vincenti, Staatssekretär im Amt von Regierungschef Renzi, dem „Messaggero“. Die zerstörten Dörfer sollen wieder aufgebaut werden nach altem Vorbild, aber sicherer werden.

Die Staatsanwaltschaft in den verwüsteten Regionen leitete Ermittlungen wegen möglicher Schlamperei am Bau ein. „Was da passiert ist, kann nicht nur als Unglück gesehen werden“, zitierte die Zeitung „La Repubblica“ Staatsanwalt Giuseppe Saieva. Bei einigen der zerstörten Häuser sei „mit mehr Sand als Zement“ gebaut worden.

Der Sonnabend war der Tag der Trauer in Italien. Im ganzen Land wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt. Der Sender RAI verzichtete auf allen seinen Kanälen aus Respekt vor den Opfern auf Werbung. Der Zivilschutz sammelte über eine Spenden-SMS bis Sonntagmittag bereits 9,6 Millionen Euro.