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Rom EU-Staaten demonstrieren Einigkeit

Randale bleibt bei den Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag in Rom aus.

26.03.2017, 23:01

Rom (dpa) l Pomp, Zeremoniell und Sonnenschein: Man kann das Ergebnis der Feierlichkeiten zum 60. EU-Geburtstag dürftig nennen und die „Erklärung von Rom“ vorhersehbar. Auch die Tatsache, dass der Jubiläumsgipfel der Europäischen Union nach wenigen Stunden vorbei ist, spricht nicht für bahnbrechende Ergebnisse. Und doch ist es mehr als ein Hauch von Geschichte, der am Sonnabend über dem römischen Kapitolshügel weht. Das staatstragende Jubiläum entfacht ungeahnte Emotionen bei Gegnern und Befürwortern.

„Ich bin genau vor 60 Jahren geboren“ – mit dieser Feststellung beginnt der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk seine Festrede. Aber manchmal bedeute das Geburtsdatum weniger als der Geburtsort, fügt er hinzu. Tusk ist im April 1957 in Danzig geboren, einer Stadt, die in Hunderten Jahren von Polen und Deutschen, Holländern und Juden, Schotten und Franzosen erbaut worden sei. Im März 1945 zerstörten Hitlers und Stalins Truppen Danzig in wenigen Stunden.

Man hat das alles schon gehört – und doch gelingt Tusk ein eindringlicher Appell. Für Millionen Menschen, auch die, die an diesem Sonnabend in Europa für die europäische Einigung demonstrierten, sei die EU eben kein Verein für leere Sprüche, Regulierungen und Bürokratie. „Ein bisschen eng hier in diesem Raum“, scherzt der italienische Ministerpräsident und Gastgeber Paolo Gentiloni im Saal der Horatier und Curiatier. Und erinnert damit daran, dass es 1957 sechs Länder waren und heute 27 sind, die das Projekt Europa mit gestalten. 60 Jahre europäischer Einigungsprozess sind ein Erfolg, der die Erwartungen der europäischen Gründungsväter weit übertroffen hat, und die Europäische Union darf sich ruhig einmal dafür beglückwünschen. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel findet das Ereignis „sehr bewegend vor dieser historischen Kulisse“.

Bewegt sind auch die Demonstranten außerhalb des streng abgeriegelten Gipfelgeländes, sowohl Freunde Europas als auch Gegner. Etwa 30 000 sollen es gewesen sein, und 5000 Sicherheitskräfte. Zusammenstöße können verhindert werden, aber die Kundgebungen sind auch ein Spiegel der zerrissenen italienischen Gesellschaft.

Auch viele der Pro-Europäer verlangen einen Neustart der Gemeinschaft, raus aus dem „Brüsseler Tal der Tränen“, wie es EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker formuliert hat. „Das Jubiläum muss ein Punkt des Aufbruchs sein“, sagt Elisa, 33, aus Verona. Die Pro-Demonstranten kommen in Europaflaggen gehüllt, selbst ein Hund in Blau mit gelben Sternen ist dabei.

Empörung ist zu spüren bei den Gegendemonstranten. „Die EU ist ein Instrument der Märkte und zerstört die Zukunft der Jugend“, sagt Francesco auf der Demo „Eurostop“. Andrea beschwert sich über die Sparpolitik. Ein junger Arzt sagt: „Wir wollen raus aus der Union, weil Italien am Sterben ist.“ Aus Angst vor Ausschreitungen sind viele Geschäfte geschlossen. Doch die große Randale bleibt aus.

Der Festakt selbst geht wohlgeordnet und heiter über die Bühne. EU-Kommissionschef Juncker unterzeichnet die Erklärung zum Jubiläum mit einem historischen Füllfederhalter – genau dem, den die Delegation seines Heimatlandes Luxemburg vor 60 Jahren genutzt hatte. Luxemburg, Deutschland und die anderen vier Gründerstaaten schufen damals die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo unterzeichnet nicht ohne Anspielung auf ihren vorigen Protest. Sie nimmt Platz, blickt ins Rund, lässt den Stift schweben über dem Papier. Nach geleisteter Unterschrift breitet sie die Arme aus, was wohl so viel heißen soll wie „Na, seht ihr“. Szydlo hatte vorab damit gedroht, die Erklärung nicht zu unterschreiben, am Ende aber lenkte sie ein.

Mal wieder hat die EU die Kurve gekriegt, vorerst. Den Stolz auf Erfolge der Vergangenheit, die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, das alles wird die Staatengemeinschaft noch bitter nötig haben in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten. Am Mittwoch wird Großbritannien seinen offiziellen Austrittsantrag in Brüssel einreichen.

Und bald stellt sich in Frankreich die Europagegnerin Marine Le Pen zur Wahl. Europa muss um sich kämpfen.