Wettspiele Zocken im Grenzbereich

Buchmacher haben vor der Fußball-EM Konjunktur. Illegale Sportwettenanbieter zahlen freiwillig Steuern.

Von André Stahl 01.06.2016, 23:01

Berlin (dpa). Man kann 2505 Euro gewinnen, wenn man beim Sportwettenanbieter „bwin“ auf Albanien als Fußball-Europameister 2016 setzt und dafür fünf Euro riskiert. Beim Konkurrenten „tipico“ ist mit demselben Einsatz eine Auszahlung von 1500 Euro möglich. Wer mit fünf Euro auf einen Finalsieg Deutschlands wettet, kann am Ende „nur“ das 4,5-Fache an Ausschüttung herausholen (Stand 30. Mai).

Allerdings: Eigentlich sind diese Wetten – zumindest aus Sicht der meisten Bundesländer – illegal. Denn keiner der Anbieter hat bisher eine offizielle bundesweite Lizenz für Deutschland erhalten – auch wenn sie sich seit Jahren erfolglos bewerben. Aber „tipico“ und andere werden von den Behörden geduldet, sie zahlen sogar Steuern an den Staat und halten sich an die Vorgaben. Und schließen Sponsoren-Verträge mit Fußballclubs – trotz der Grauzone.

Schuld an der Misere sind die Bundesländer, die es in vier Jahren nicht geschafft haben, für geordnete Verhältnisse zu sorgen. Seit 2012 ist die Glücksspielregulierung in Deutschland eine beispiellose Hängepartie.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte Anfang Februar die Bundesländer aufgeschreckt, im April hatte das Verwaltungsgericht Wiesbaden eine Begrenzung der Sportwettenlizenzen als nicht vereinbar mit EU-Recht eingestuft – und damit auch die neueren Pläne der Bundesländer durchkreuzt, die sich gegen einen Neustart wehren.

Mit dem mühsam ausgehandelten Glücksspielstaatsvertrag konnten die Länder das staatliche Lottomonopol noch einmal retten, sie mussten aber den Markt öffnen. Für sieben Jahre sollten 20 Konzessionen an Sportwetten-Anbieter vergeben werden. Nach vierjährigem Gezerre kann dieses Verfahren aber als gescheitert betrachtet werden. Die Länder wurden von mehreren Gerichten abgestraft, leer ausgegangene Anbieter klagten. Auch die von den Ländern getragene staatliche ODS Oddset Deutschland Sportwetten GmbH kann nicht mitmischen.

Nach dem geltenden Glücksspielstaatsvertrag dürfte überhaupt kein privater Anbieter – ob mit Lizenz aus Gibraltar, Großbritannien, Malta oder Österreich – in ganz Deutschland um Einsätze werben. Dennoch haben sich die Oddset-Konkurrenten etabliert im Dunst der gescheiterten Regulierung.

Nach dem EuGH-Urteil von Anfang Februar dürfen private Anbieter ohne deutsche Lizenz vorerst nicht bestraft werden. Davon profitiert auch der Staat: Die „illegalen“ privaten Anbieter zahlen sogar freiwillig Wettsteuern – im Jahr 2015 waren es nach Angaben der Bundesregierung gut 240 Millionen Euro.

Federführend bei der Lizenzvergabe ist Hessen. Doch dort war die Skepsis zu den Vereinbarungen des Glückspielstaatsvertrages von Anfang an groß. Nun droht das Land mit einem Ausstieg aus dem Staatsvertrag.

Doch die anderen Länder handeln mehrheitlich offenbar nach dem Motto – „Augen zu und durch“. Der Glücksspielstaatsvertrag soll allenfalls durch „minimalinvasive Eingriffe“ fortentwickelt werden. So könnte die Zahl der Lizenzen auf 40 erweitert werden.

Sollte Hessen aussteigen, stellt sich die Frage, ob Glücksspiel in Deutschland überhaupt noch stringent geregelt wird. Der Markt boomt ungeachtet dessen weiter. Einschließlich des Schwarzmarktes dürften sich die Umsätze bei bis zu sieben Milliarden Euro bewegen. Das leidige Thema könnte am 16. Juni auf der Konferenz der Ministerpräsidenten erneut aufgerufen werden. Womöglich wird bis dahin ein EU-Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. (dpa)