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Weihnachtsstress Knochenjob für Paketfahrer

280 Päckchen am Tag, genervte Kunden, schwere Lieferungen: Für Paketzusteller Hans-Joachim Harnagel ist die Weihnachtszeit purer Stress.

Von Matthias Arnold 22.12.2016, 23:01

Braunschweig (dpa) l An einem kalten Vorweihnachtsmorgen nimmt Hans-Joachim Harnagel sein erstes Paket des Tages in die Hand. Es ist 8.00 Uhr. Mit einem Scanner liest er den Barcode ab, hebt die Lieferung von einer langen Rutsche, die von der Hallendecke fast bis zu seinem Postauto führt, und stellt sie im Wageninneren ab. Für den Paketboten an der DHL-Zustellbasis in Braunschweig beginnt nun der Arbeitstag. Das Päckchen hat da schon einen weiten Weg hinter sich.

Noch in der Nacht wurde es im Paketzentrum in Magdeburg in ein Postauto geladen und nach Braunschweig gefahren. Um 4.00 Uhr morgens haben Mitarbeiter den Lastwagen ausgeräumt und per Maschine sortiert. Harnagel verstaut seine Ladung nun nach und nach in den Postwagen. „280 Sendungen sind es heute“, sagt der 58-Jährige. „In normalen Zeiten sind es höchstens 200.“

Doch die Vorweihnachtszeit ist keine normale Zeit. Bis zu 16 000 Pakete werden an Spitzentagen derzeit in Braunschweig umgeschlagen – fast doppelt so viele wie sonst. „Bundesweit sind es im Moment rund 8,5 Millionen Pakete, die DHL transportiert“, schätzt der Leiter der Zustellbasis, Uwe Bergmann. Das seien fast vier Millionen mehr als in ruhigeren Zeiten.

Und die Zahlen wachsen durch den rasant zunehmenden Internethandel jedes Jahr weiter. Die DHL-Konkurrenten DPD und Hermes haben in der Vorweihnachtszeit nach eigenen Angaben bundesweit jeweils mehr als zwei Millionen Pakete täglich ausgeliefert.

Für die Zusteller bedeutet das vor allem Stress. „Den Kunden haben wir versprochen, dass alle Bestellungen, die bis zum 22. Dezember eingehen, pünktlich bis Weihnachten ausgeliefert werden“, sagt Bergmann von der DHL-Zustellbasis in Braunschweig. Trotzdem komme es häufiger vor, dass Kunden sich beschwerten, etwa, weil angeblich nicht geklingelt wurde. „Der Stress ist halt riesig. Aber man kann ja inzwischen auch online angeben, wann man sein Paket haben will“, sagt Hans-Joachim Harnagel. Vor zwei Jahren hatte er es im Rücken: „Reha, Rückengymnastik, das volle Programm.“ Noch heute macht er regelmäßig seine Übungen. „In diesem Job musst du auf dich achten.“

Thomas Warner ist bei Verdi Niedersachsen/Bremen zuständig für den Bereich Post und Logistik. „Selbst die Zeitarbeit-Firmen haben kaum noch Leute, um den Bedarf zu decken“, sagt er. Für viele Werkvertragsarbeiter bedeute das häufig einen Zehn-Stunden-Tag bei sechs Tagen die Woche.

Immer wieder kritisieren Gewerkschaften die harten Arbeitsbedingungen und die weit verbreitete Praxis der Werkverträge in der Branche. Harnagel ist zwar beim DHL-Mutterkonzern angestellt. „Wir sind aber eine aussterbende Rasse“, sagt er. Schon jetzt arbeitet rund die Hälfte der Belegschaft in Braunschweig für die Tochter DHL Delivery – und verdient für die gleiche Arbeit deutlich weniger als Harnagel.

Bei der DPD sind die Bedingungen noch härter. Sämtliche Zusteller sind bei Subunternehmen angestellt. „Die Zustellung übernehmen deutschlandweit etwa 1000 Systempartner, bei denen rund 9000 Zusteller angestellt sind“, teilt das Unternehmen mit. Auch für den Versanddienstleister Hermes arbeitet ein Großteil der Zusteller über Werkverträge. Unter Mindestlohn werde dabei aber kein im Auftrag von Hermes tätiger Fahrer bezahlt, sagt Sprecher Martin Frommhold. „Die Kritik an der Branche ist oft unfair und findet ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen statt“, meint er.

Harnagel selbst kann die Kritik nachvollziehen. Als Angestellter bei der Mutter schiebt auch er Überstunden. „Sechs Tage die Woche muss ich aber nicht raus.“ Inzwischen hat er seinen Wagen beladen und seine Tour gestartet. Erster Stopp: Ein Reformhaus in der Innenstadt. Hier übergibt er das Paket vom Morgen an seinen Adressaten. Die Reise der Lieferung ist nun beendet. Harnagels Fahrt geht noch einige Stunden weiter.