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Parlamentswahlen Rolle rückwärts in Polen

Polen bewegt sich politisch nach rechts. Paradox dabei: Die Regierung wurde trotz erfolgreicher Wirtschaftspolitik abgewählt.

Von Steffen Honig 27.10.2015, 00:01

Die Konjunktur in Polen brummt. Das Land ist hervorragend durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen. Das Bruttoinlandsprodukt ist nicht geschrumpft, sondern hat seit 2007 um 20 Prozent zugenommen. Die Löhne sind gestiegen, die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Doch längst nicht alle Polen haben Teil an dieser Erfolgsgeschichte. Sie fallen schnell durch das dünn geknüpfte soziale Netz. Die Unterschiede zwischen aufstrebenden Großstädten und darbenden ländlichen Regionen sind immens.

Die bisher regierende liberalkonservative Bürgerplattform (PO) war nicht in der Lage, die daraus resultierende Missstimmung aufzufangen. Sie wurde in diesem Jahr doppelt abgestraft: Zunächst verlor Bronislaw Komorowski von der PO im Mai überraschend die Präsidentschaftswahl gegen Andrzej Duda von der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Nun folgte bei der Parlamentswahl der nächste klare PiS-Erfolg. Mit fast 38 Prozent haben die Konservativen die Liberalen, die nur auf gut 24 Prozent kamen, klar abgekocht. Von den anderen Parteien schaffte es keine über 10 Prozent.

Nach dem Willen der PiS-Führung wird es nun in Polen eine Wende geben. Weg von liberaler Bürgerlichkeit hin zu einer konservativen, nationalen und katholischen Politik – dazu jedoch mit ausgeprägter sozialer Note.

Vollziehen soll ihn die Wahlsiegerin Beata Szydlo. Die 52-jährige studierte Kulturmanagerin hat sich als das verkauft, was sie ist: die Frau aus dem Volke. Die Tochter eines Bergarbeiters aus Südpolen kennt die Härten eines arbeitsreichen Lebens. Dies bringt sie besonders der Stammklientel der PiS nahe: Den Menschen im ländlichen Polen und im armen Osten des Landes. Gewonnen hat die Kandidatin aber auch in anderen Landesteilen.

Szydlo machte nicht durch markige Parolen auf sich aufmerksam, sondern verkörpert den sachlichen Politikertyp. Ihren bisher größten Erfolg errang sie als Managerin des Präsidentschaftswahlkampfes von Andrzej Duda.

Die Versprechen der Kandidatin galten vor allem denen, die bisher zu kurz gekommen sind beim polnischen Aufschwung. So soll es Kindergeld geben und einen höheren Mindestlohn. Außerdem will Szydlo 1,2 Millionen jungen Polen bis 35 Jahre Arbeit verschaffen. Auch soll das Rentenalter gesenkt werden.

Die designierte Premierministerin steht künftig in der ersten Reihe. Doch dahinter dürfte der einflussreiche PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski die Strippen ziehen. Er hatte die Partei zusammen mit seinem Bruder Lech 2005 schon einmal an die Macht in Polen geführt und war selbst eine Zeit lang Premierminister. Lech Kaczynski wurde Präsident.

Das weckt ungute Erinnerungen: Unter den Kaczynski-Brüdern verschärfte sich die politische Spaltung des Landes. Auch außenpolitisch war die Rolle Polens umstritten, vor allem im Verhältnis zu den anderen EU-Partnern. Der damalige Präsident Lech Kaczynski wehrte sich erbittert gegen den Verfassungsvertrag von Lissabon, ehe er ihn gezwungenermaßen doch unterschrieb.

Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland gelangten an einen Tiefpunkt. So warf etwa Lech Kaczynski 2008 den deutschen Behörden eine „Politik der Assimilation“ gegenüber in Deutschland lebenden Polen vor. Erst als die Bürgerplattform an die Macht kam, änderte sich die Rolle des Landes in Europa. Heute ist mit Donald Tusk ein liberaler Pole EU-Ratspräsident.

Mit Jaroslaw Kaczynski im Hintergrund könnten die inzwischen gedeihlichen polnisch-deutschen Beziehungen Schaden nehmen. Ein Feld dafür scheint ausgemacht: die Flüchtlingspolitik. Im Gegensatz zur bisherigen Regierung, die Zugeständnisse machte, will die PiS eine Abschottungspolitik durchziehen.