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Tagesschau Hofer: „Wir sind keine Lügenpresse“

Fast täglich muss Tagesschau-Chefsprecher Jan Hofer über die Flüchtlingskrise berichten. Was er über die Nachrichten dieser Tage denkt.

06.12.2015, 23:01

Herr Hofer, Sie müssen täglich für ein Millionen-Publikum über die Flüchtlingskrise berichten – inwiefern bewegt Sie diese Krise auch persönlich?

Jan Hofer: Die Krise bewegt mich persönlich in vielfältiger Hinsicht. Ich bin ja auch eine Privatperson, habe Familie und Freunde. Und da ist die Zuwanderung ein ganz großes Thema. Überall, wo ich hinkomme, werde ich darauf angesprochen.

Natürlich auch auf unsere Berichterstattung. Und ich sage immer: Wir berichten das, was wir sehen. Wir berichten nicht das, was ihr sehen wollt.

Dass da Ängste sind – auch in meinem Familienkreis –, dass da Sorgen sind über Islamisierungs-Tendenzen und Ähnliches, ohne dass die Leute einen Bezug zu Pegida haben, kann ich verstehen. Bisher hat die Politik da ehrlich gesagt nicht viele Antworten geboten. Das ist aber das, was die Leute erwarten – ich übrigens auch.

Auf Pegida-Demonstrationen ertönt regelmäßig der Ruf „Lügenpresse“ – wie ernst nehmen Sie die Verachtung, die dort gegenüber deutschen Medien zum Ausdruck gebracht wird?

Ernstnehmen muss man das grundsätzlich. Aber: Es gibt immer ein Sammelbecken von ewig Unzufriedenen, ewig Gestrigen und ewigen Oppositionellen. Und die treffen sich natürlich bei der AfD, bei den Pegida-Veranstaltungen.

Lügenpresse ist ein schrecklicher Ausdruck, ein nationalsozialistisch besetzter Begriff, den ich eigentlich nicht hören möchte. Man kann den Medien vieles vorwerfen, aber eines ist klar: Wir machen die Welt nicht, wir zeigen sie nur, wie sie ist. Dass in Magazinen gelegentlich ein Zungenschlag kommt, der eine Meinung wiedergibt, ist gewollt. Aber in der Tagesschau, in den Nachrichtensendungen ist das nicht der Fall. Genauso wie es auch in Zeitungen nicht der Fall ist. Dort werden Kommentare auch klar gekennzeichnet.

Die Medien haben sich also nichts vorzuwerfen?

Ich werde oft nach der Zukunft des Journalismus gefragt. Und da kann ich eine ganz einfache Antwort geben: Der Journalismus ist wichtiger als jemals zuvor. In einer Zeit, in der jeder im Internet schreiben und sagen kann, was er will, muss es jemanden geben, der Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt prüft und einordnet. Sonst weiß doch niemand mehr, was stimmt und was nicht. Und wer soll das sein außer dem Journalisten?

Sie sind seit 1985 bei der Tagesschau, seit 2004 der Chefsprecher – wie hat sich die Berichterstattung über Krisen und Ereignisse über die Zeit verändert?

Dramatisch. Vor 1990 gab es keine Handys. Vor 1985 gab es keine Faxe. Die Nachricht über einen Tsunami in Japan hätte uns in der damaligen Zeit vielleicht zehn Tage später erreicht. Wir hätten auch die Anschläge am 11. September 2001 in New York oder die in Paris nicht live im Fernsehen sehen können. Die Vernetzung weltweit hat zu einer dramatischen Veränderung der Krisenberichterstattung geführt. Und ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb viele Leute heute mit Nachrichten überfordert sind und alles als schlechte Nachricht sehen. Weil wir heute Dinge sehen, die wir vor 20 Jahren nicht sehen konnten.

Die Welt ist also gar nicht instabiler geworden.

Nein, ist sie nicht. Krisen hat es immer gegeben. Aber sie ist ein Stück weit schlechter geworden. Ich war vor einiger Zeit im Sudan, in der Krisenregion Darfur. Dass die Menschen dort seit Jahrhunderten Konflikte austragen, die immer um Wasser gehen, ist relativ normal. Neu ist nur, dass die Menschen nicht mehr mit Knüppeln, sondern mit Kalaschnikows aufeinander losgehen.

Aus meiner Sicht zählt der Waffenhandel zu den schlimmsten Problemen unserer Zeit. In Darfur sieht man junge Leute auf einem Toyota-Pickup – jeder eine Kalaschnikow in der Hand. Sie können nicht lesen, nicht schreiben, nicht rechnen. Aber ballern können sie. Und dann sind sie starke Männer, wenn sie das machen. Und wer sich ihnen in den Weg stellt, der ist hin. Ein Menschenleben ist denen vollkommen egal.

Die Tagesschau gilt als eine der seriösesten Nachrichtensendungen des deutschen Fernsehens – fällt es ihr da besonders schwer, sich auf neue Formate der Berichterstattung einzustellen?

Überhaupt nicht. Wir haben seit zehn Jahren Tagesschau24. Wir haben eine Social-Media-Abteilung, die sich allen Kommunikationskanälen widmet. Und wir bauen derzeit ein neues Nachrichtenhaus. Die Tagesschau- und die Online-Berichterstattung werden künftig immer stärker verzahnt – auf dramatische Art und Weise.

Aber es war für viele eine große Nachricht, als herauskam, dass Tagesschau-Moderatoren auf Sendung mehr Bein zeigen dürfen.

Wissen Sie, das war ein Spiel, das wir gespielt haben. Und zwar deswegen, weil wir wissen, dass selbst kleinste Veränderungen bei der Tagesschau von bundesweitem Interesse sind. Und da haben wir uns mal einen kleinen Spaß erlaubt, Beine ohne Oberkörper zu zeigen. Und sofort war die Nation in Aufruhr. Wir wundern uns auch ein bisschen darüber. Aber im Gegensatz zu allen anderen Nachrichtensendern, die Zuschauer verloren haben, haben wir in den vergangenen Jahren einen Zuwachs von fünf Millionen auf acht Millionen verzeichnet. Und das nicht nur bei älteren, sondern auch bei jungen Leuten. Das freut uns wirklich sehr, weil wir fest davon überzeugt sind, dass auch die Jugend politisch interessiert ist.

Welche Ereignisse aus der Berichterstattung bleiben Ihnen besonders in Erinnerung?

Das Flugzeugunglück in Rammstein. Ich werde immer gefragt, wie emotional man in so einer Sendung ist. In der Regel ist man nicht so emotional, weil man das alles vorher in der Redaktion schon mal gesehen hat. Aber der Film über das Flugzeugunglück wurde aktuell eingespielt, ohne dass ich ihn vorher gesehen habe. Und da war ich den Tränen nahe, als ich das gesehen habe. Aber auch die Terror-Anschläge in New York und Paris bleiben mir in Erinnerung.

Sind für Sie die 20-Uhr-Nachrichten inzwischen nur noch Routine?

Das ist ganz komisch: Ich mache ja nicht nur die 20-Uhr-Sendungen, sondern auch welche davor. Obwohl ich im selben Studio stehe, mit den selben Kameras, Technikern und Tonleuten arbeite, ist aber die 20-Uhr-Sendung jeden Tag aufs Neue noch immer etwas ganz Besonderes, ein Hochamt. Um 20 Uhr bin ich extrem vorbereitet, habe alles noch mal gecheckt. Denn ich weiß natürlich auch, dass mehr Menschen um 20 Uhr zuschauen und auch die deutsche Politik die Sendung verfolgt.