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Ukraine Der Wind hat sich gedreht

Der Maidan-Umsturz hielt im Februar 2014 die Welt in Atem. Vom Sturm des Wandels blieb wenig. Der Führung bläst der Wind ins Gesicht.

Von Steffen Honig 16.02.2016, 00:01

Aivaris Abromavicius hat ein für allemal genug: Am 3. Februar erklärt er seinen Rücktritt als Wirtschaftsminister der Ukraine. Begründung des Litauers mit ukrainischem Pass: die Reform-Resistenz in seinem Ressort. Händeringend bittet ihn Präsident Petro Poroschenko, die Demission nochmals zu überdenken – zunächst vergeblich.

Denn mit Abromavicius geht ihm einer derjenigen von der Fahne, die als Leuchttürme für die Erneuerung des ukrainischen Staatswesens gelten sollten. Wie die in Chicago geborene Finanzministerin Natalija Jaresko, eine frühere Investmentbankerin, oder Michail Saakaschwili, ehedem georgischer Präsident und nun Gouverneur des Gebietes Odessa. Sie alle waren angetreten, Wirtschaft und Gesellschaft der Ukraine aus den Klauen von Korruption und Vetternwirtschaft zu befreien.

Doch genau an dieser Herkules-Aufgabe ist Ex-Minister Abromavicius gescheitert. Er beklagt die Versuche, „fragwürdige Personen“ in Staatsbetrieben zu installieren, die die Finanzströme im Sinne der Oligarchie kontrollieren sollen, insbesondere im Energiebereich. Ein Gesetzentwurf des Ministers zu Privatisierungen scheiterte mehrfach im Parlament.

Dabei hatte Poroschenko nach dem gewaltsamen Sturz seines Vorgängers Viktor Janukowitsch den Oligarchen in der Ukraine entschieden den Kampf angesagt. Nun gehört Poroschenko allerdings selbst zu diesem Zirkel. Das Versprechen, sein eigenes Schokoladen-Imperium zu verkaufen, hat er bis heute nicht eingelöst. Der Staat ist noch immer von den alten Netzwerken der Oligarchen eingeschnürt.

Freilich, es gab sichtbare Zeichen einer Wende: In Kiew wurden neue Polizisten mit neuen Uniformen und neuer Dienstauffassung eingestellt. Den Provinzen wurde mehr Unabhängigkeit von der Zentrale in Kiew zugestanden. Das Parlament beschloss Gesetze zur Deregulierung der Wirtschaft, ein Antikorruptionsbüro wurde geschaffen.

Nicht zum Selbstzweck: Das Leben der ukrainischen Bevölkerung sollte sichtbar besser werden. Genau daran hapert es. Die anhaltende Talfahrt der ukrainischen Währung Hriwna ist deutlichstes Indiz für die schwachbrüstige Ökonomie.

Ein gewichtiges Wachstumshemmnis stellt zweifelsohne der Krieg im Osten des Landes dar, von der Regierung als Anti-Terror-Operation apostrophiert. Der Kontrolle Kiews wurden mit russischer Unterstützung traditionelle Industriegebiete entzogen, auch wenn der Modernisierungsbedarf im Kohlerevier Donbass groß ist.

Hinzu kommen die gegenseitigen Boykottmaßnahmen Russlands und der Ukraine. Ein uralter angestammter Markt ging der ukrainischen Wirtschaft zu Teilen verloren.

Den Rücken stärkt Präsident Poroschenko und seiner Führung seit dem Umbruch die finanzielle Unterstützung von EU, USA und Internationalem Währungsfonds. Insgesamt umfassen die Hilfen 40 Milliarden Dollar. Ohne diese Mittel hätte die Ukraine längst Bankrott anmelden müssen. Gefühlt im Monatstakt ist Poroschenko in Berlin und Brüssel, um sich weiterer Unterstützung zu versichern.

Doch nun steht der Geldfluss infrage. IWF-Chefin Christine Lagarde wurde kürzlich in Kiew deutlich: „Ich bin besorgt, wie langsam die Ukraine im Kampf gegen die Korruption vorankommt“, erklärte Lagarde und mahnte substanzielle Reformen an. Sonst könnte der Währungsfonds die Kredite kappen.

Poroschenko hat nicht mehr viel Zeit. Die innenpolitischen Attacken auf ihn werden heftiger, die Differenzen zu Ministerpräsident Arseni Jazenjuk tiefer. Der Maidan droht vom Winde verweht zu werden.