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EU-Zukunft Kerneuropa als Rettungsanker

Die EU wird immer schwerfälliger. Ein Gegenmodell wäre ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten.

Von Steffen Honig 07.04.2016, 01:01

Magdeburg l Schon der Fakt, dass in den Niederlanden ein Referendum zustande kam, obwohl die Regierung dem EU-Ukraine-Abkommen zugestimmt hat, ist ein deutliches Abstandssignal an Kiew. Ausgerechnet aus dem Land, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Mehr noch. Es ist ein weiteres Indiz für das allgemeine Misstrauen der Bürger gegenüber allem, was aus Brüssel kommt.

Die EU ist vielen der rund 500 Millionen Menschen, die in ihren Grenzen leben, zu bürokratisch, zu undurchsichtig und zu aufgebläht. Und weil sie glauben, dass ihre nationalen Interessen kaum berücksichtigt werden, erlebt der Nationalismus in Europa eine Renaissance.

Für den früheren EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen gibt es da nichts zu beschönigen. Die Menschen wollten nicht „von oben herab“ behandelt werden, sagt der SPD-Politiker Anfang dieser Woche bei einem sicherheitspolitischen Forum in Berlin.

Ein Weg, um die Handlungsfähigkeit der EU zu erhalten, könnte ein Europa von zwei oder mehr Geschwindigkeiten sein. Integrationswillige Länder würden den Kern bilden, um den herum sich die Staaten scharen, die einen engeren Zusammenschluss bei Sicherheit und Verteidigung sowie in Währungsfragen ablehnen.

In Gruppen geteilt ist der Brüsseler Club lange: Euroländer und Schengen-Mitglieder markieren die Trennlinien. Großbritannien in seiner ewigen Sonderrolle ist durch das Brexit-Referendum gerade dabei, sich selbst aus dem EU-Verbund hinauszukatapultieren.

Vereinfacht wäre vorstellbar, dass die EU-Gründungsländer (Benelux, Frankreich, Italien, Deutschland), ergänzt um Österreich und die skandinavischen Staaten und eventuell Polen den Kern bilden, der die Integration vorantreibt. Osteuropäische Mitgliedsländer, Westbalkanstaaten und die Südeuropäer könnten ein langsameres Tempo bei der intensivierten Zusammenarbeit einschlagen.

Frage also an Verheugen: Wäre die Schaffung eines Kern- europas die Lösung? „Theoretisch ja“, sagt der erfahrene EU-Stratege, „doch wer soll die ,Pioniergruppe‘ sein?“ In dieser müssten Deutschland, Frankreich und „am liebsten“ auch Polen vertreten sein.

Doch weder Deutsche und Franzosen hätten derzeit irgendetwas, um damit voranzugehen. „Das Ganze krankt daran, dass Deutschland und Frankreich ihre Führungsverantwortung für Europa nicht wahrnehmen, vielleicht auch nicht wahrnehmen können“, erklärt Verheugen.

Der Ex-Kommissar, heute Honorarprofessor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), kann sich als Elder Statesman seine schonungslose Analyse leisten. Aktive Politiker sind da diplomatischer. Gemessen daran waren die Ansagen des französischen Präsidenten Fran�ois Hollande in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung vom Mittwoch schon recht deutlich.

Er wünsche sich, so Hollande, dass nach dem EU-Referendum im Juni „eine Initiative ergriffen wird, den Ländern, die für mehr und schnellere Integration stehen, diese auch zu ermöglichen.“ Die Staaten, die nicht die Mitgliedschaft in der Eurozone anstrebten, müssten zwar respektiert werden. „Aber sie dürfen die weitere Entwicklung der Union nicht bremsen.“ Die Botschaft: Diejenigen, die eine Stärkung der EU wollen, werden dies notfalls auch gegen die Unwilligen durchsetzen.

Das muss natürlich vorbereitet werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Forum, das fast unbemerkt blieb. Anfang Februar dieses Jahres haben sich in Rom Vertreter der sechs EU-Gründerstaaten getroffen. Das Thema war zwar eine gemeinsame europäische Lösung in der Flüchtlingskrise. Das passende Gesprächsformat für ein Kerneuropa ist aber damit gefunden.