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Brexit Steinmeier erhöht Druck auf London

Nach dem EU-Referendum hat der deutsche Außenminister den Druck auf Großbritannien erhöht. Sie sollen schnell austreten.

25.06.2016, 12:06

Berlin/London (dpa) l Deutschland und die anderen fünf Gründerstaaten der Europäischen Union haben ihren Druck auf Großbritannien erhöht, nach dem Brexit rasch die konkreten Verhandlungen über einen Austritt aus der EU zu starten. "Dieser Prozess sollte so bald wie möglich losgehen, dass wir nicht in eine längere Hängepartie geraten", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Samstag nach einem Außenministertreffen der sechs EU-Staaten in Berlin. Der Bevölkerung müsse gezeigt werden, dass die EU notwendig und arbeitsfähig sei.

Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault forderte einen neuen britischen Regierungschef "innerhalb weniger Tage". Der Amtsinhaber, Großbritanniens Premierminister David Cameron, hatte am Freitag seinen Rücktritt bis spätestens Oktober angekündigt. Die Austrittsverhandlungen mit Brüssel solle dann sein Nachfolger führen.

Steinmeier forderte die Regierung in London dagegen auf, ihrer Verantwortung für die Entwicklung in Europa gerecht zu werden und der EU die Möglichkeit zu geben, sich rasch mit ihrer Zukunft zu beschäftigen. Deshalb solle der Scheidungsprozess schnell in Gang gesetzt werden. Die EU müsse gemeinsame Antworten etwa beim Flüchtlingsthema oder den Bereichen Arbeit und Wachstum finden, sagte Steinmeier auch mit Blick auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einigen Ländern.

Zu den Gründerstaaten der EU, die damals im Jahr 1957 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hieß, zählen neben Deutschland Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg. In der EU wird befürchtet, dass London bei den Verhandlungen über den Ausstieg aus der EU auf Zeit spielt.

In einer gemeinsamen Erklärung der sechs Außenminister zur Weiterentwicklung der EU ist nun nicht mehr ausdrücklich von einer "flexiblen Union" die Rede, die Raum lasse für Partnerländer, die weitere Integrationsschritte noch nicht mitgehen können oder wollen. In dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Papier heißt es nun, es solle anerkannt werden, dass es in den Mitgliedstaaten bei der europäischen Integration unterschiedliche Ziele gebe. Es müssten bessere Möglichkeiten gefunden werden, mit diesen unterschiedlichen Ansprüchen umzugehen. Damit wolle man den Erwartungen der Bürger besser gerecht werden.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte mit Blick auf London: "Ich hoffe, dass wir hier kein Katz- und Mausspiel machen." Das passe weder zur EU noch zu Großbritannien. "Hier muss Klarheit sein. Das Volk hat gesprochen. Und wir müssen diese Entscheidung umsetzen". Großbritannien müsse nun sehr schnell den in Artikel 50 des Lissabon-Vertrages festgelegten Mechanismus zum Austritt in Gang setzen. "Wenn das nicht geschieht (...), kann es geschehen, dass eine Periode von vier Monaten, vielleicht noch mehr, eine Periode der Unsicherheit ist." Rasches Handeln sei wichtig für die Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien und damit verknüpft auch für soziale Fragen in der EU.

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel forderte, Europa müsse zur Überwindung der Vertrauenskrise sozialer und gerechter werden. Es gebe eine "massive Spaltung zwischen Gewinnern und Verlieren" in der Europäischen Union, sagte der Wirtschaftsminister und Vizekanzler in Bonn zum Auftakt einer Reihe von SPD-Regionalkonferenzen. Rund 25 Millionen Menschen suchten in Europa Arbeit, darunter viele junge Leute. Das sei "verheerend", betonte Gabriel. "Da geht die Idee Europas verloren" – und das erzeuge Wut und Verachtung.

Gabriel schloss eine Rückkehr Großbritanniens in die EU nicht aus. "Fast drei Viertel der unter 25-Jährigen wollten in der EU bleiben. Wir dürfen die Zugbrücke nicht hochziehen", sagte Gabriel den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag). "Wir müssen der jungen Generation auf beiden Seiten des Kanals die Chance geben, wieder zusammenzurücken."

Ökonomen erwarten infolge des Brexit-Votums massive wirtschaftliche Einbußen in Europa. Am schmerzhaftesten werde der Brexit die Briten selbst treffen, urteilte die Bertelsmann-Stiftung. "Es ist eine Situation, in der alle verlieren, die EU-Mitgliedsländer und ganz besonders dramatisch Großbritannien", sagte Andreas Esser, Leiter des Wirtschaftsbereichs der Stiftung, der Deutschen Presse-Agentur.

Die US-Ratingagentur Moody's erwartet nach dem Brexit-Votum weniger Ausgaben und Investitionen in Großbritannien und damit ein geringeres Wirtschaftswachstum. Der Ausblick für die Einstufung sei von "stabil" auf "negativ" gesenkt worden, teilte die Agentur mit. Spekuliert wird in der Londoner City über 50 000 bis 70 000 Finanzjobs, die ins Ausland verlagert werden könnten.

Unterdessen wollen mehr als eine Million Briten angesichts des knappen Ergebnisses beim EU-Referendum noch einmal abstimmen. Eine offizielle Petition an das Parlament in London knackte am Vormittag die Millionenmarke. Bereits 100.000 Unterstützer reichen aus, damit das Parlament eine Debatte in Betracht ziehen muss, wie es auf der Webseite heißt. Die Unterzeichner fordern, dass es ein neues Referendum geben solle, wenn die Wahlbeteiligung unter 75 Prozent liegt oder weniger als 60 Prozent der Wähler für oder gegen den Brexit stimmen.