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Armutsbericht Manche haben weniger als in den 90ern

Die Bundesregierung veröffenticht ihren Armuts- und Reichtumsbericht. Ein Ergebnis: Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander.

Von Violetta Kuhn und Ruppert Mayr 12.04.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Der Reichtum in Deutschland gleicht einer „Black Box“. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) erläutert dazu, wer mehr als 18.000 Euro pro Monat verdiene, falle aus jeder Statistik – spätestens seit Wegfall der Vermögenssteuer. Alles, was darunter liegt, wird dagegen in allen Schattierungen ausgeleuchtet, so ein weit verbreiteter Vorwurf. Der Verdacht, dass oberhalb dieser Einkommensgrenze Steuern „vermieden“ werden, drängt sich auf.

Auch deshalb hat die Ministerin in ihrem neuen Armuts- und Reichtumsbericht einen neuen Ansatz gewählt und den Blick auch auf die große Unbekannte Reichtum gerichtet. Nachdem ihr Bericht – nach langem Gezerre innerhalb der Großen Koalition von Union und SPD – am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet wurde, sagt sie: „Die reichsten 10 Prozent der Haushalte besitzen mehr als die Hälfte des gesamten Netto-Vermögens. Die untere Hälfte nur 1 Prozent.“ Und während die Einkommen der Gutverdiener in den vergangenen Jahrzehnten noch weiter stiegen, kam bei den Armen kaum etwas an. Manche haben heute unterm Strich sogar weniger als Mitte der 90er Jahre.

Weiteres Ergebnis: Wohlhabende Menschen haben ein höheres Interesse an Politik und gehen eher zu Wahlen. Und damit gewinnt auch die Frage an Brisanz: Wie viel größer ist der Einfluss reicher Bürger auf die deutsche Politik als der der armen? Die landläufige Meinung geht dahin, dass die Reichen und die Wirtschaft Interessen eher durchsetzen können als Arbeitnehmer und deren Vertretungen wie Gewerkschaften.

Nahles wollte offensichtlich genauer wissen, wie Einflussnahme funktioniert. Doch damit stieß sie wohl auf erheblichen Widerstand. Ganze Passagen zu dem Thema sollen aus dem Bericht gestrichen worden sein. Ende vergangenen Jahres – das Papier war gerade in der Ressortabstimmung – wurden entsprechende Zensurvorwürfe laut: So findet sich laut Medienberichten in einer zweiten Fassung nicht mehr der Hinweis darauf, dass Reiche mehr Einfluss auf politische Entscheidungen hätten als Arme. Ebenfalls gestrichen wurde das Unterkapitel „Einfluss von Interessensvertretungen und Lobbyarbeit“.

Nahles wollte ihre Ergebnisse aber nicht ganz unter den Tisch fallen lassen. „Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte dieses Reichtumsberichts alles, was wir erarbeitet haben, was wir an Daten hatten, auch öffentlich gemacht“, sagt sie im Deutschlandfunk. „Kann man bei uns auf der Homepage alles nachsehen. Es wurde nichts verschwiegen.“

Die Bundesregierung erstellt diesen Armuts- und Reichtumsbericht alle vier Jahre. Damit besteht auch die Möglichkeit, dass seine Veröffentlichung in den Wahlkampf fällt. Als Wahlkampfmunition will Nahles die Ergebnisse nicht verstanden wissen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Themen Armut und Reichtum vor der Bundestagswahl im Herbst ausgespart werden, ist äußerst gering.

Zumal sich die SPD und ihr Herausforderer Martin Schulz das Thema soziale Gerechtigkeit selbst auf die Fahnen geschrieben haben. Und schon macht Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) die Koalitionspartner CDU und CSU für die sozialen Missstände, die der Bericht aufzeigt, mitverantwortlich.

Der Deutschen Presse-Agentur sagt sie: „Der Bericht zeigt ganz konkret, dass wir Familien noch mehr unterstützen müssen.“ Das Risiko, dass Kinder verarmten, sei dann besonders groß, wenn Väter oder Mütter alleinerziehend seien. „Die Union hat in den letzten vier Jahren von Anfang an jeden Vorschlag, den ich für Familien gemacht habe, blockiert.“

Von CDU-Politikern dagegen ist zu hören, Deutschland sei ein „Land der Chancen“, vieles habe sich verbessert.