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Koalition Krise nach sechs Wochen Rot-Rot-Grün

Regierungschef Müller will Staatssekretär Holm wegen dessen Stasi-Vergangenheit entlassen. Für die Linke ein Affront.

Von Stefan Kruse 15.01.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Was für ein Desaster. Nach nicht einmal sechs Wochen im Amt steht die rot-rot-grüne Koalition im Land Berlin, die sich als Vorbild für den Bund empfehlen wollte, schon vor einem Scherbenhaufen. So richtig regiert haben SPD, Linke und Grüne bisher nicht. Stattdessen prägen öffentlich ausgetragener Streit etwa über mehr Videoüberwachung und – nicht zuletzt – die Stasi-Vergangenheit von Bau-Staatssekretär Andrej Holm das Bild.

Nun droht die erste Regierungskrise. Denn Regierungschef Michael Müller (SPD) sprach am Wochenende ein Machtwort: Er wolle Holm entlassen, Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) möge die Papiere vorbereiten. Für die Linke, die den parteilosen Stadtsoziologen in den Senat entsandt hatte, ein Schlag ins Gesicht.

Wie konnte es so weit kommen? Die Linke machte Holm am 13. Dezember zum Staatssekretär, obwohl seit 2007 bekannt war, dass er in der DDR Stasi-Offizier werden wollte und noch in der Wendezeit für einige Monate dem Ministerium für Staatssicherheit beitrat. 26 Jahre nach der deutschen Einheit zog also erstmals ein bekannter früherer hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter in eine Regierung ein. Das polarisierte gerade in einer Stadt mit der Geschichte Berlins.

„Der Fall Holm zeigt, dass die Koalitionsparteien die Sprengkraft des Themas Staatssicherheitsdienst völlig unterschätzt haben“, sagt der Chef der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. „Vielleicht hätten wir vorher mal in die Akten schauen sollen“, meint Kultursenator Klaus Lederer (Linke) selbstkritisch.

Doch am Ende scheiterte Holm nicht an den fünf Monaten als Stasi Gefreiter. Vielmehr scheitert er an der Tatsache, dass er in einem Personalfragebogen der Berliner Humboldt-Universität, bei der er lange arbeitete, im Jahr 2005 eine berufliche Stasi-Tätigkeit verneinte. Als dies nach seiner Ernennung bekannt wurde, begründete er dies mit Erinnerungslücken. Der Vorwurf der Lüge steht im Raum.

Wochenlang warf die Opposition von CDU, AfD und FDP Regierungschef Müller Entscheidungsschwäche und „Abtauchen“ vor, selbst SPD- und Grünen-Politiker kritisierten seine abwartende Haltung. Müller, der sich noch bei einem Koalitionsausschuss im Dezember überreden ließ, eine personalrechtliche Stellungnahme der Universität zu Holm abzuwarten, musste nun wohl die Notbremse ziehen.

Eine noch am Freitag veröffentlichte Entschuldigung Holms und seine Bitte um Verzeihung bei Stasi-Opfern half da nicht mehr. Zumal sich der Linken-Vorstand am selben Tag hinter Holm stellte und Müller so wohl zusätzlich reizte. Dem Vernehmen nach hatte er Grüne und Linke da schon über seine Pläne informiert – und dürfte die Erklärung der Linken als Foul gewertet haben.

Wie es nun politisch weitergeht, muss sich zeigen. Erste Signale der Linken deuten darauf hin, dass sie „R2G“ nicht wegen des Stasi-Streits scheitern lassen wollen. Das wäre wohl die größte anzunehmende Blamage. Aber: Der Gentrifizierungskritiker Holm stand genau für den Schwerpunkt, mit dem die Linke bei der Wahl gepunktet hatte: eine Politik gegen Verdrängung von sozial schwächeren Mietern aus ihren Wohnquartieren.