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Dauerkonflikt Russland fürchtet Taliban mehr als Nato

Der Westen liegt mit seinem großen Nachbarn im Osten seit Jahren über Kreuz. Mehr Verständnis füreinander könnte helfen.

Von Steffen Honig 16.03.2017, 00:01

Magdeburg l Christian Wipperfürth geht das Thema „Russland und der Westen“ nüchtern an. Länder pflegten Beziehungen und keine Freundschaften, meint der Publizist bei einem Forum vor gut 120 Besuchern am Dienstagabend in Magdeburg.

Russland und die Probleme im Umgang mit dem Riesenreich füllen in Sachsen-Anhalt immer Säle. Zumeist geht es in der Diskussion heiß her. Organisatoren – wie in diesem Fall die SPD-nahe Ebert-Stiftung und die Deutsch-Atlantische Gesellschaft – scheuen sich dennoch und gerade deshalb nicht, den Diskurs anzuregen. Gut so.

Wipperfürth lässt Fakten und Thesen sprechen, heischt nicht nach Sympathie für eine der beiden Seiten. Zumal der Westen sich nicht erst seit der Ukraine-Krise höchst uneinig über den Umgang mit Moskau zeige. Partnerschaft würden Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich oder Finnland anstreben, während die angelsächsischen Länder (USA, Kanada, Großbritannien), sowie einige osteuropäische Staaten und Schweden Russland auf Abstand halten wollten.

Beispiel: Seit 1998 (bis zur Besetzung der Krim 2014) gehörte Russland zu den G-8-Staaten. Dies schließt normalerweise die Teilnahme an den Treffen der jeweiligen Finanzminister ein. Nicht so bei Russland: Fanden die Gespräche in den USA, Kanada oder Großbritannien statt, wurde der russische Minister nicht eingeladen. Wipperfürth: „Würde und Prestige sind für Russland sehr wichtig, da trifft die Nichteinladung besonders.“ Ein Teil des Publikums fühlt sich bestätigt: Schuld an dem Dilemma seien nicht die Russen, sondern die Amerikaner.

Weiter bei der Analyse russischer Befindlichkeiten: Der Publizist sagt, Russland sei eine den Nachbarn Angst einflößende potenzielle Hegemonialmacht „mit ungeklärter Beziehung zu sich selbst“. Für jeden Russen, der älter als 40 Jahre sei, habe sich das Leben 1991/92 fundamental verändert. „Die Russen sind alle Patrioten, „aber mit einer gestörten Bezihung zu sich selbst“.

Zur Furcht im Baltikum und in Polen, von den Russen überrannt zu werden, meint Wipperfürth: „Sie werden nicht im Baltikum eingreifen, sondern höchstens in der Ukraine.“ 5000 russische Soldaten hätten die Ostukraine vom Rest des Landes abgeschnitten „Zwei bis drei Prozent der russischen Armee könnten große Teile der Ukraine besetzen, folgert der Publizist und stellt die hohe Kampfkraft der Soldaten heraus. Die Armee sei grundlegend modernisiert, der Sold der Offiziere stark erhöht worden. Russland gebe 5,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Rüstung aus – in Deutschland seien es 1,2 Prozent.

Aus Moskaus Sicht sei nicht die Nato-Präsenz an der gesicherten Westgrenze Russlands die gefährlichste Bedrohung, sondern die kaum kontrollierbare, 7000 km lange Grenze in Zentralasien, meint der Publizist. Ein mögliches Szenario sei der Sturm von Taliban-Extremisten aus Afghanistan in Richtung Norden.

Ach ja, die Krim-Frage. Ein Besucher, der nach der Abspaltung von der Ukraine auf der Krim war, hörte nach seinem Bekunden dort nur Zustimmung zur Einnahme durch Russland. „Alles, was bei uns über die Krim geschrieben wird, ist gelogen“, empört sich der Mann unter Beifall im Saal.

Wipperfürth plädiert sachlich für ein zweites Referendum. Das solle klären, ob die Bewohner nach Russland oder zurück zur Ukraine wollten. Durch internationale Aufsicht würde die Abstimmung unangreifbar.