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Edzard Reuter Zwischenrufe eines älteren Herrn

Edzard Reuter spricht in Magdeburg über die Flüchtlingskrise, Angela Merkel und Lutz Trümper.

Von Lion Grote 11.02.2016, 00:01

Magdeburg l Das schafft wahrlich nicht jeder. Seit 70 Jahren ist Edzard Reuter inzwischen Mitglied der SPD. „Und das ist wirklich eine Leistung“, betont der 87-Jährige. Am Dienstag war Reuter mal wieder in Magdeburg, der Stadt seiner frühen Kindheit. Bei einer Podiumsdiskussion präsentierte er sein neues Buch und stellte sich den Fragen der Zuhörer. Und wer Edzard Reuter kennt, weiß, was er zu erwarten hat: klare Worte. Hier eine Auswahl seiner Themen.

Die derzeitige Lage ist für Edzard Reuter die „kritischste Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg“. Es herrsche eine tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung, wie es mit der Gesellschaft weitergehe. Diese Verunsicherung treffe dabei nicht nur Deutschland, sondern „alle demokratischen Länder des Westens“. Als Problem sieht Reuter vor allem die fehlende Glaubwürdigkeit der Politik. „Glaubwürdigkeit heißt für mich vor allem auch, Fehler einzugestehen.“ Stattdessen werde in jeder Frage taktiert und der eigene Machterhalt als Selbstzweck gesehen. Gleichzeitig stehe die Gesellschaft am Beginn eines Lernprozesses, „mit der Digitalisierung und der Überflutung an Informationen umzugehen“. Diese „Revolution“ verändere die Politik und die Gesellschaft gleichermaßen.

„Niemand“, so Reuter, „dürfe die Notlage der Menschen im Nahen Osten unterschätzen.“ Die Menschen kämen nicht nach Deutschland, weil es sich hier so gut leben lässt. „Ich bin davon überzeugt, dass die meisten am liebsten in ihrer Heimat leben würden.“ Die Integration der Flüchtlinge sei eine „Herausforderung einer ganzen Generation“, von der noch niemand sagen könne, ob und wie sie funktioniert.

Edzard Reuter diagnostiziert vor allem ein Problem beim Umgang mit der AfD. „Man kann doch nicht so tun, als wären die gar nicht da.“ Offensichtlich treffe die Partei eine Stimmung in der Bevölkerung, mit der sich auch etablierte Parteien auseinandersetzen müssten. „Was man politisch von ihnen hält, ist eine völlig andere Frage.“

Nie zuvor hatte Reuter nach eigener Aussage mehr Hochachtung vor der Bundeskanzlerin als bei ihrem Satz „Wir schaffen das“. Er zeuge von Mut. Inzwischen aber hält Reuter den Satz für falsch. Sie habe es zwar gut gemeint, sich aber geirrt, wie die aktuelle Lage zeige. Eine glaubwürdige Politikerin würde diesen Fehler auch eingestehen. Wie schon bei dem Entschluss zur Energiewende treffe Merkel Entscheidungen aber nicht aus tiefer Überzeugung, sondern aus Machtsinn. Durch ihr Beharren auf dem Satz hätte Merkel die Bundesrepublik isoliert und fordere „eine Spaltung Europas“ heraus. „Was mir fehlt ist, dass sie erklärt, welche Ziele sie verfolgt. Da sehe ich nichts.“

Vom Magdeburger Oberbürgermeister könnten viele Politiker lernen, „die Wahrheit zu sagen und dazu zu stehen“. Der Austritt aus der SPD sei eine konsequente und mutige Entscheidung gewesen. Die Begrüßung als „Freund“ blieb trotzdem dem Magdeburger Alt-OB Willi Polte vorbehalten.

Der russische Präsident ist für Edzard Reuter „größenwahnsinnig“. Die Annektion der Halbinsel Krim war „ein klarer Bruch des internationalen Völkerrechts“. Dennoch: „Er existiert und hat die Zustimmung eines großen Teil der Bevölkerung. Also muss man auch mit ihm sprechen.“

Für Edzard Reuter wurde das Erstarken des Islamischen Staates befördert durch die Politik von Ex-US-Präsident George W. Bush. Ohne die kulturellen Traditionen und die Meinungen der Bevölkerung zu beachten, sollte das westliche Politikverständnis mit Bomben exportiert werden. „Das ist ein Zeichen westlicher Arroganz.“ Natürlich gelten die Grundideen der Aufklärung für alle Menschen, „doch befehlen lässt sich das nicht“. Stattdessen sollte dafür gesorgt werden, dass Forderungen nach Demokratie und Freiheit innerhalb der Staaten gefördert werden.

Sachsen-Anhalt habe seit der Wiedervereinigung „wahnsinnig viel erreicht“, sagt Reuter. Doch das Land müsse andere Schwerpunkte setzen. „In der Industrie und dem Handel ist der Wachstumskuchen verzehrt.“ Stattdessen müssten Voraussetzungen vor Digitalunternehmen und Startups geschaffen werden. „Da ist der Wettbewerb schon längst in Gange.“ In Richtung der Landesregierung forderte Reuter, „Wagnisse von Unternehmern nicht zu bestrafen, sondern zu fördern“. Nur so könne ein gutes Klima für Gründer geschaffen werden.