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Flüchtlinge Italien und Deutschland brauchen einander

Trotz Differenzen wollen Italien und Deutschland in der Flüchtlingskrise zusammenarbeiten.

Von Thomas Lanig 29.01.2016, 23:01

Berlin (dpa) l Viel war von Zank und Streit die Rede, von einem Zerwürfnis gar zwischen Deutschland und Italien in den schwierigen Monaten der Flüchtlingskrise. Auch das persönliche Verhältnis zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Matteo Renzi, lange als besonders herzlich beschrieben, habe gelitten. Wenn es so war, dann erlebte Berlin an diesem Freitag eine Demonstration der Versöhnung und eine Offensive der Nettigkeiten.

Offenkundig haben beide Seiten begriffen, dass sie sich mehr denn je gegenseitig brauchen. Die Kanzlerin, zuletzt relativ einsam und ohne Bündnispartner auf europäischer Ebene, kann kaum mehr auf den französischen Präsidenten François Hollande zählen, den die Angst vor einem weiteren Aufstieg der rechtsextremen Front National zu lähmen scheint. In der Flüchtlingskrise ist er abgetaucht.

Und nicht nur das: Spanien sucht nach einer neuen Regierung, Großbritannien liebäugelt immer noch mit dem Austritt aus der EU, auch die Freundschaft zu Polen hat unter der neuen nationalkonservativen Regierung in Warschau gelitten.

Bleibt Italien als großer, wichtiger Partner, Gründungsmitglied der EU, immerhin unter der Regierung des 41-jährigen Sozialdemokraten auf dem Weg der Reform. Bei der seit Jahren anhaltenden Tragödie der Mittelmeer-Flüchtlinge sah sich Rom alleingelassen, auch von Berlin. „Über Jahre schien das nur ein italienisches Problem zu sein, jetzt ist es ein europäisches“, sagt Renzi an diesem Freitag.

Da kann man noch den Ärger heraushören über die mangelnde Solidarität der Europäer, auch der Deutschen, die ihn auf dem Juni-Gipfel der EU 2015 zu einem Wutausbruch provozierte. Doch das waren noch andere Zeiten. Damals war die drohende Pleite Griechenlands wichtiger als die beginnende Flüchtlingskrise.

Ein gutes halbes Jahr später hat sich Europa verändert. Fast schon verzweifelt kämpft Merkel nicht nur innenpolitisch, sondern auch in der EU um ihren Kurs, der sich von der großen Geste der Offenheit gegenüber den vielen hunderttausend Flüchtlingen längst zu einer Suche nach Begrenzung und vor allem Lastenteilung verschoben hat.

Mit 15 Minuten Verspätung trifft der Gast aus Rom am Freitag im Kanzleramt ein. „Siamo Italiani“, sagt dazu ein Journalist und Landsmann Renzis. „Wir sind eben Italiener.“ Die deutsch italienischen Beziehungen sind – bei aller Nähe – auch immer geprägt von Klischees. Zum Beispiel von dem deutschen Vorurteil, die Italiener seien leider unzuverlässige Bündnispartner. Dem tritt die Kanzlerin entschlossen entgegen. „Zwei Länder, die sich freundschaftlich sehr verbunden sind“, sagt sie, lobt Renzis Arbeitsmarktreform und erinnert daran, dass Italien in der Flüchtlingskrise „von Anfang an am stärksten betroffen“ war. Ein natürlicher Verbündeter für Deutschland, sozusagen.

Auch dass das Gespräch mit zwei Stunden doppelt so lange dauert wie geplant, darf als Zeichen der guten Kooperation gewertet werden. Immerhin erklärt Renzi im Anschluss, Italien werde sich an den drei Milliarden Euro für den Aktionsplan mit der Türkei beteiligen, nur noch ein paar Detailfragen seien zu klären. Im übrigen sei er „völlig einverstanden mit Angela“, zumindest gebe es „mehr Punkte, die uns einen, als die uns trennen.“ Auf alle Fälle gilt: „Wir sagen uns die Dinge mit einem Lächeln.“

Wie sehr Renzi eine Partnerschaft auf Augenhöhe sucht, hat er unmittelbar vor seinem Kurzbesuch in Berlin erkennen lassen. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte er: „Wenn man eine gesamteuropäische Strategie zur Lösung der Flüchtlingsfrage sucht, dann kann es nicht reichen, wenn Angela zuerst Hollande und dann den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker anruft, und ich das Ergebnis aus der Presse erfahre.“