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Flüchtlingskrise Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber

Eine halbe Million abgelehnte Asylbewerber, die einfach so in Deutschland leben und nicht abgeschoben werden? Skandal, meinen manche.

22.09.2016, 23:01

Berlin (dpa) l 550.000 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland? Polizeigewerkschafter, AfD und Unions-Politiker echauffieren sich über das angebliche Versagen bei Abschiebungen. Dabei lohnt ein genauer Blick auf die Zahlen: Es geht um Menschen, die zum Großteil schon vor vielen Jahren einen negativen Asyl-Bescheid bekamen und inzwischen längst eine Aufenthaltserlaubnis haben, also rechtmäßig in Deutschland leben. Nur eine vergleichsweise kleine Gruppe ist tatsächlich akut „ausreisepflichtig“.

Was hat es mit den 550.000 Menschen auf sich?

Zum Stichtag 30. Juni 2016 lebten 549.209 Menschen in Deutschland, die irgendwann mal erfolglos einen Asylantrag gestellt haben. In Sachsen-Anhalt sind es 4450. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor. Der Großteil dieser Menschen – 406.065 – lebt seit mehr als sechs Jahren im Land. Bei 165.000 fiel die negative Entscheidung in den 90er Jahren.

Woher kommen sie?

Die meisten stammen aus der Türkei, dem Kosovo und Serbien. Es folgen Afghanen, Vietnamesen und Mazedonier. Aber es sind zum Beispiel auch fast 13.000 Polen darunter, die vor langer Zeit als Asylsuchende ins Land kamen. Mit dem EU-Beitritt Polens 2004 erübrigte sich die Frage nach dem Aufenthaltsrecht. EU-Bürger können ihren Wohnort in der EU frei wählen.

Sind diese 550.000 Menschen denn quasi „illegal“ in Deutschland?

Nein, keineswegs. Fast die Hälfte von ihnen (46,6 Prozent) hat ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Weitere 34,8 Prozent haben eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Das heißt, diese Menschen wurden nach ihrem erfolglosen Asylantrag aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben, sondern erst eine Zeit lang geduldet und bekamen später ein Bleiberecht. Nur für 18,6 Prozent gilt das nicht. Ein Teil von ihnen sind Geduldete – also Menschen, die etwa wegen einer schweren Erkrankung oder fehlender Papiere vorerst im Land bleiben dürfen, allerdings ohne festen Aufenthaltsstatus. Ein anderer Teil sind Menschen, die keinerlei Anspruch haben, sich in der Bundesrepublik aufzuhalten – das ist aber nur eine relativ kleine Gruppe.

Wie viel Geduldete und Ausreisepflichtige gibt es?

Ende Juni lebten 168.212 Menschen mit einer Duldung im Land – wobei nicht alle abgelehnte Asylbewerber sind. Darunter können etwa auch Menschen sein, die mit einem Visum nach Deutschland einreisten, aber länger blieben und eine Duldung bekamen, zum Beispiel um ihr Studium abzuschließen. 52.870 Menschen sind als „ausreisepflichtige Personen ohne Duldung“ erfasst. Sie haben also keine Erlaubnis zu bleiben und müssten abgeschoben werden, sofern sie nicht freiwillig gehen. Die Zahl könnte aber auch deutlich kleiner sein. Die Regierung räumte vor Monaten an anderer Stelle ein, dass vermutlich „eine nicht unerhebliche Zahl von Ausreisepflichtigen ohne Duldung ohne Kenntnis der Ausländerbehörden aus Deutschland ausreist oder untertaucht“ – ohne dass sie aus den Statistiken gestrichen werden.

Was hat das mit der Flüchtlingskrise zu tun?

Nicht viel. Die Zahlen beziehen sich eben auf mehrere Jahrzehnte. Zum Vergleich: Zum Stichtag Ende Juni 2015 – also vor den turbulenten Herbst-Monaten, in denen die Flüchtlingszahlen in Deutschland rasant nach oben gingen, lag die Zahl der „abgelehnten Asylbewerber“, die in Deutschland leben, auch schon bei 538.057.

Gibt es „Vollzugsprobleme“ bei Abschiebungen?

Aus Sicht der Regierung durchaus. Sie hat die Vorgaben allerdings verschärft. Und die Zahlen gehen seit einiger Zeit deutlich nach oben. 2014 wurden bundesweit noch knapp 11.000 Abschiebungen gezählt. 2015 verdoppelte sich die Zahl nahezu auf rund 21.000. Und im laufenden Jahr deutet sich eine weitere Steigerung an.