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Flüchtlingskrise Wählerfang mit Ausländerangst

Die Schweiz wählt am Sonntag ein neues Parlament. Beobachter erwarten einen Rechtsruck.

15.10.2015, 23:01

Bern (dpa) l Bangemachen gilt doch: Schon in 15 Jahren könnten zehn statt derzeit rund acht Millionen Menschen in der Schweiz leben – und nur noch die Hälfte wären dann „gebürtige Schweizer“. Davor warnen bunte Flyer die Eidgenossen. Wer die „10-Millionen-Schweiz“ verhindern wolle, müsse bei der Parlamentswahl am Sonntag für die Schweizerische Volkspartei (SVP) stimmen: „Setzen Sie ein Zeichen gegen Asylmissbrauch und maßlose Zuwanderung!“

Die Wahlkampf-Rhetorik der nationalkonservativen, teils rechtspopulistischen SVP hat Wirkung: Laut Umfragen wird sie erneut stärkste politische Kraft und kann ihren Stimmenanteil ausbauen – auf fast 28 Prozent gegenüber 26,6 Prozent bei den Wahlen 2011.

Zwar hat die SVP auch andere Themen als „das Asylchaos“ im Köcher. So gehört der Kampf gegen einen angeblich drohenden „Anschluss“ an die EU zur Standardmunition von SVP-Präsident und Landwirt Toni Brunner. Doch ihre Erfolge führt sie selbst weitgehend auf ihre „konsequente Ausländer- und Asylpolitik“ zurück.

„Nie waren Erwartungen an einen Wahlkampf in den letzten 20 Jahren so monothematisch wie diesmal“, konstatieren die Meinungsforscher des Instituts gfs.bern. Als das drängendste Problem würden die Wähler „die Migrationsthematik“ ansehen. Abgeschlagen folgen auf der Sorgenliste das komplizierte Verhältnis zur EU sowie die Arbeitslosigkeit – die liegt dank der äußerst konkurrenzfähigen Schweizer Wirtschaft bei nur 3,2 Prozent.

„Das Asylthema hat eingeschlagen“, sagte Philipp Müller, Präsident der rechtsliberalen FDP, dem Nachrichtenportal „20 Minuten“. „Die SVP hat damit das thematische Umfeld, um ab durch die Decke zu gehen.“ Müllers FDP ist die zweitstärkste bürgerliche Partei. Ihr sagen Demoskopen einen Zuwachs auf 16,7 Prozent (von 15,1 im Jahr 2011) voraus, wobei die FDP eher mit Wirtschafts- und Europathemen punktet.

SVP und FDP werden Zugewinne von zusammen zehn Mandaten prophezeit, Sozial- und Christdemokraten sowie den Grünen und Grünliberalen hingegen Einbußen. Deshalb ist in der Schweiz von einem absehbaren „Rechtsrutsch“ die Rede. Der wird allerdings keine dramatischen Folgen für die Zusammensetzung der nächsten Regierung haben.

Grund ist das einzigartige politische System der Schweiz. Selbst starke Wählerwanderungen führen nicht zu einer gänzlich anderen Regierung. Die Eidgenossenschaft ist eine Konkordanzdemokratie. Das das heißt: Möglichst viele politische Kräfte werden an der Regierung beteiligt und Entscheidungen werden gemeinsam möglichst im Konsens getroffen. Selbst die Leitung der Regierung ist ein Rotationsjob für einen „Ersten unter Gleichgestellten“.

In den letzten Jahren hat sich die SVP mit nur einem Ministerposten zufriedengeben müssen. Gemessen an der Wählerstärke stünden ihr zwei Plätze bei den „sieben Zwergen“ zu, wie die Schweizer ihre Regierung gern nennen. Doch gewählt werden die Minister vom gesamten Parlament. Da können auch schon mal Kandidaten der stärksten Partei durchfallen. Mehr als zwei Minister kann die SVP nach der „Zauberformel“ sowieso nicht bekommen – egal wie stark sie mit dem Asylchaos-Wahlkampf wird.

Der Schweizer „Rechtsrutsch“ dürfte daher recht gedämpft ausfallen. Allerdings wird die Konkordanz ergänzt durch die direkte Demokratie: Das letzte Wort über neue Gesetze hat das Volk an der Referendumsurne. Was die SVP in der Regierung und im Parlament nicht durchbekommt, kann sie per Volksinitiative zur Abstimmung bringen.

So stimmten die Eidgenossen bereits der „Ausschaffungsinitiative“ der SVP zu. Danach müssen Ausländer des Landes verwiesen werden, wenn sie Straftaten begehen. Auch ein Verbot des Baus von Minaretten setzte die Partei per Referendum durch. Ebenso die gesetzliche Begrenzung der „Masseneinwanderung“ durch jährliche Kontingente.

Bis zum Jahr 2017 müssen sie eingeführt werden, auch für EU-Bürger. Und Ideen, über die das Volk abstimmen könnte, gibt es bei der SVP noch viele. Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen etwa oder auch eine zeitweilige Aussetzung des Asylrechts gehören dazu.