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Frankreich-Wahl Wirtschaft steht ganz oben

Damian Chapuis, Beauftragter für deutsch-französische Angelegenheiten in Sachsen-Anhalt, zur Präsidentschaftswahl in Frankreich.

Von Steffen Honig 22.04.2017, 01:01

Wir müssen mit einem traurigen Ereignis beginnen - dem Terroranschlag in Paris. Was glauben Sie, wie sehr wird dies die Wahl beeinflussen?

Damian Chapuis: Die Nachricht erreichte alle Kandidaten während der letzten Fernsehdebatte am Donnerstagabend. Die Rechtsradikalsten und Konservativsten haben die Gelegenheit sofort ergriffen, um für noch mehr Sicherheit und Autoritarismus zu plädieren. Sogar um neue Maßnahmen vorzuschlagen, als unbedachte Reaktion. Das ist sehr gefährlich und des höchsten Amtes unserer Republik nicht würdig. Ob dieses Ereignis eine Konsequenz haben wird, ist schwer zu sagen. Ich denke eher, dass sich die Fronten verhärten werden.

 

Es ist ohnehin von einer Schicksalswahl die Rede. Teilen Sie diese Ansicht?

Ich denke, das ist etwas übertrieben. Diese Präsidentenwahl ist aber wahrscheinlich die wichtigste seit Jahrzehnten.

Warum?

Wir haben eine schwierige Situation in Frankreich, die sich in den vergangenen Jahren zugespitzt hat – vor allem wegen der Sicherheit. Frankreich ist immer noch Ziel von Terroranschlägen. Das hat das politische Bild völlig verändert. Zudem sagen alle Umfragen, dass die Rechtsextremen in die Stichwahl kommen werden. Das gab es in Frankreich noch nie. Es geht um die Entscheidung, wie es mit Frankreich und Europa weitergeht, in einer Welt, die sich in den vergangenen fünf Jahren extrem verändert hat. Russland, USA und Syrien sind da nur einige Stichworte.

Der parteiunabhängige Emmanuel Macron und Rechtsaußen-Politikerin Marine Le Pen gelten als die Favoriten. Sind die etablierten Parteien am Ende?

Nach den letzten Umfragen haben wir vier Kandidaten, die etwa gleiche Werte haben. Dazu gehört Marine Le Pen, die ich aber nicht als Favoritin sehe. Dann sind da Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon, der für die Linke antritt, und François Fillon, Vertreter der rechtskonservativen Republikaner. Sie alle liegen bei plus/minus 20 Prozent, Le Pen und Macron leicht darüber. Der Ausgang ist also offen, zumal sich ein Drittel der Franzosen, die wählen gehen wollen, noch nicht entschieden hat. Das kann alles ändern.

Welche Probleme drücken die Franzosen vor dem Urnengang am meisten?

Wirtschaft und Arbeitslosigkeit stehen wieder ganz oben. Das war anders nach den großen Anschlägen. Vor allem die Zukunft der Arbeit wird intensiv diskutiert. 2016 wurde ein neues Reformgesetz zum Arbeitsrecht durch einen Regierungserlass eingeführt. Dadurch wurde die Gesellschaft polarisiert – es kam zu Demonstrationen, Streiks und Blockaden. Das spiegelt sich jetzt im Wahlkampf wider.

Das Gesetz betrifft Arbeitszeit, Rentenalter und soziale Sicherheit – also ganz heiße Eisen.

Genau. Das sind Grundfragen für die Franzosen: Wie lange soll man in der Woche arbeiten? Wie lange arbeitet man im Leben? Welche Absicherung gibt es bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit? Es ging auch um die Zukunft der Arbeit: Was wird mit der Digitalisierung, wie werden wir in 20 Jahren arbeiten? Einige Kandidaten, wie der Sozialist Benoît Hamon, haben dies thematisiert unter der Maßgabe, dass bei weniger Arbeit eine Lösung gefunden werden muss. Erstmals wurde deshalb in Frankreich ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert.

Welche Rolle spielen Manipulationsmöglichkeiten im Internet – siehe USA – bei dieser Wahl?

Schwer zu sagen. Auch wir haben die Warnung erhalten, dass andere Länder Einfluss nehmen würden. Schlimmes ist bisher nicht passiert. In Frankreich gibt es aber ebenfalls Fake News, Falschnachrichten, die sich im Internet extrem schnell verbreiten. Es gibt politische Kräfte, die das Internet seit Jahren sehr effizient für ihre Zwecke nutzen – das sind die Extremen, sowohl rechts als auch links. Die Lager von Le Pen und Mélenchon sind sehr präsent in den einschlägigen Netzwerken. Bei Fillon ist das ganz anders, er hatte mit seinen juristischen Problemen zu kämpfen. Macron hingegen ist ebenfalls sehr gut im Netz vertreten und pflegt als junger Mann das Bild einer Erneuerung der Politik.

Könnte es für Le Pen einen Wilders-Effekt wie in den Niederlanden geben: Hohe Umfragewerte, niedrigeres Wahlresultat?

In der Vergangenheit wurde der Front National meist unterschätzt. Die französische Presse meint, dass die Kampagne von Le Pen zuletzt an Schubkraft verloren hat, weil sie mit der Justiz Probleme hat – ihr wird vorgeworfen, Gelder des Europäischen Parlaments zweckentfremdet eingesetzt zu haben – und weil ein Austritt aus der EU ihren traditionellen Wählern Angst macht. Ich denke, dass sie in den Umfragen überschätzt wird. Aber noch nie ist eine Präsidentenwahl so offen gewesen wie diese!

Das macht eine Prognose schwierig, oder?

Die beiden wichtigsten Kandidaten sind in der Tat Macron und Fillon. Ich denke, dass Le Pen oder Mélenchon keine Chance haben – zumindest nicht bei der Stichwahl.

Ein gutes Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland ist für die EU existenziell. Befürchten Sie hier Schaden durch die Wahl?

Die Franzosen neigen dazu, anderen die Schuld zu geben, wenn etwas nicht stimmt. Sie sagen, die Deutschen oder Angela Merkel sind schuld. Das ist für mich unwürdig. Europa ist in diesem Wahlkampf wichtig. Manche der elf Kandidaten treten für einen „Frexit“ ein, das sind Außenseiter. Andere wollen aus dem Euro raus. Wieder andere wollen mehr Europa. Frankreich und Deutschland müssen ein Führungsgespann in der EU bleiben, wenn die Gemeinschaft gestärkt werden soll.

Ihr Arbeitsfeld sind französisch-deutsche Kontakte in Sachsen-Anhalt. Wie können diese noch verbessert werden?

Ich bin seit September 2015 als Kulturattaché in Magdeburg. Zwei Ziele habe ich von Anfang an verfolgt: Junge Leute anzusprechen, um die Zukunft der Partnerschaft zu sichern und unsere Angebote über die Großstädte hinaus in ganz Sachsen-Anhalt zu unterbreiten. Das tun wir mit den laufenden französischen Filmtagen oder Fête de la Musique.