Große Koalition Nahles unter Druck

Auch fast eine Woche nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag sind SPD und CDU noch nicht wieder zur Ruhe gekommen - ganz im Gegenteil.

12.02.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Die möglichen Koalitionspartner SPD und CDU ringen nach parteiinternen Querelen um eine Erneuerung. Die Sozialdemokraten stehen kurz vor einem Führungswechsel: Fraktionschefin Andrea Nahles wird den Parteivorsitz voraussichtlich schon heute kommissarisch übernehmen. Erwartet wird, dass der bisherige SPD-Chef Martin Schulz seinen sofortigen Rückzug verkündet. In der CDU wurde das Bekenntnis von Parteichefin Angela Merkel zu einer personellen Erneuerung unterschiedlich aufgenommen.

Bei der SPD wollen am Nachmittag Präsidium und Vorstand über das weitere Vorgehen beraten. Nahles könnte zunächst kommissarisch die Parteiführung von Schulz übernehmen und müsste dann innerhalb von drei Monaten bei einem Parteitag formal gewählt werden. Bislang hatte Schulz angepeilt, sich erst Anfang März nach dem Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids über den Eintritt in eine große Koalition von der Parteispitze zurückzuziehen und an Nahles zu übergeben. Nötig wird der schnellere Wechsel, weil die Personalquerelen um Schulz die SPD die Mitgliederbefragung zu überlagern drohen. Eine erneute GroKo ist in der Partei heftig umstritten.

Schulz hatte nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag mit der Union – entgegen vorheriger Aussagen – angekündigt, Außenminister in einem schwarz-roten Kabinett zu werden und den Parteivorsitz abzugeben. Auf großen Druck hin hatte er kurz darauf aber seinen Verzicht auf den Ministerposten erklärt.

Vor dem alles entscheidenden Mitgliedervotum – das am 20. Februar beginnt – steckt die Partei in größtmöglichen Turbulenzen. Führende SPD-Politiker sprachen sich für einen schnellen Wechsel an der Spitze aus. „Ich unterstütze sehr, dass Andrea Nahles zügig den Vorsitz der SPD übernimmt“, sagte etwa die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig in den ARD-„Tagesthemen“.

Zugleich ist unter den Genossen der Unmut über die Personalquerelen der vergangenen Tage groß. Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich öffentlich über Respektlosigkeit und Wortbruch in der Partei beklagt, Schulz heftig angegriffen und der Funke-Mediengruppe als Reaktion auf Schulz‘ beabsichtigten Wechsel ins Außenamt gesagt, seine Tochter Marie habe ihn mit den Worten getröstet: „Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ Kritiker in der SPD werfen Gabriel vor, damit in geschmackloser Weise die eigene Tochter vorgeschoben zu haben. Der „Tagesspiegel“ berichtete unter Berufung auf nicht genannte Vertraute des früheren SPD-Vorsitzenden, Gabriel bedauere, bei seiner Kritik die eigene Tochter ins Feld geführt zu haben.

Die SPD-Basis fordert zudem mehr Mitbestimmung bei den Personalentscheidungen um den Parteivorstand. Auch in der CDU war nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen eine heftige Debatte aufgekommen. Im Zentrum der Kritik stand der Verlust des Finanzministeriums an die SPD. Vor allem jüngere Politiker forderten zudem eine inhaltliche und personelle Erneuerung der Partei.

Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Sonntag eine personelle Erneuerung noch vor dem Parteitag am 26. Februar versprochen, auf dem die CDU über den Koalitionsvertrag abstimmt. „Jetzt geht es doch darum, Personen Chancen zu geben, die ihre politische Zukunft noch vor sich haben oder mitten da drin sind“, sagte Merkel im ZDF.

Der hessische Ministerpräsident und CDU-Bundesvize Volker Bouffier sagte der „Bild“-Zeitung: „Die Kanzlerin hat verstanden.“ Sie werde der CDU „ein klares Signal in Richtung personelle Erneuerung vor dem Parteitag geben.“ Dagegen zeigte sich der Bundestagsabgeordnete und Merkel-Kritiker Klaus-Peter Willsch enttäuscht: „Der Versuch, mit dem üblichen ‚Weiter so‘ das schlechte Verhandlungsergebnis und die Wahlschlappe von September schönzureden, hat mich nicht überzeugt. Wir müssen uns in der CDU schon jetzt überlegen, wie wir uns ohne Merkel personell neu aufstellen.“

Die Junge Union reagierte zufrieden auf die Ankündigung von Merkel. „Gestern war doch ein gutes Zeichen“, sagte JU-Chef Paul Ziemiak im ZDF. Ziemiak hatte wiederholt eine personelle und inhaltliche Neuaufstellung und ein Signal dazu noch vor dem Parteitag gefordert.