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Justizreform Brüssel droht Polen mit Strafverfahren

Die EU-Kommision pocht im Streit mit Polen auf eine dortige unabhängige Justiz. Bei einer Parlamentsdebatte in Warschau kam es zu Tumulten.

19.07.2017, 23:01

Warschau/Brüssel (dpa) l Die EU-Kommission hat die polnische Regierung zu einem sofortigen Stopp ihrer umstrittenen Justizreform aufgefordert. „Die jüngsten Maßnahmen der polnischen Verantwortlichen verstärken die Gefahr für den Rechtsstaat noch einmal ganz erheblich“, sagte Vizepräsident Frans Timmermans am Mittwoch in Brüssel. Sollten die Gesetze in Kraft treten, werde die Kommission umgehend reagieren.

Als Konsequenz schweben der Kommission nicht nur eine Fortsetzung des Rechtsstaatsverfahrens und neue Vertragsverletzungsverfahren vor, über die sie nächste Woche entscheiden würde. Sie könnte auch erstmals ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages einleiten. Dieser sieht bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“ der im Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vor.

Schon seit Anfang 2016 läuft gegen Polen wegen einer umstrittenen Reform des Verfassungsgerichts ein Rechtsstaatsverfahren. In der vergangenen Woche haben nun beide Parlamentskammern ein Gesetz zur Reform des Landesrichterrats (KRS) verabschiedet, eines Verfassungsorgans zur Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz. Es sieht die Entlassung der Landesrichterräte sowie einen größeren Regierungseinfluss bei der Wahl ihrer Nachfolger vor. Ein weiteres Gesetzesprojekt zielt auf das Oberste Gericht ab. Nur von der Regierung handverlesene Richter würden dort im Amt bleiben.

„Alle Maßnahmen zusammen würden die verbleibende Unabhängigkeit des Rechtswesens beseitigen und die Rechtsprechung unter die volle Kontrolle der Regierung stellen. Die Richter werden nach Lust und Laune der politischen Führer dienen“, warnte Timmermans am Mittwoch.

Noch ist nicht sicher, dass die polnischen Vorhaben so in Kraft treten. Der Gesetzentwurf über die Neuordnung des Obersten Gerichts wurde am frühen Mittwochmorgen zur weiteren Behandlung an den zuständigen Ausschuss überwiesen. Das vorige Woche verabschiedete Gesetz zum Richterrat müsste Staatspräsident Andrzej Duda noch unterzeichnen. Doch dieser teilte am Dienstagabend mit, dass er einen eigenen Entwurf ins Parlament eingebracht habe.

„Unsere Hand zum Dialog mit den polnischen Regierenden ist nach wie vor ausgestreckt“, sagte Timmermans. Er beklagte, dass einige polnische Minister lieber über ihn als mit ihm redeten. Was in Polen geschehe, gehe jeden einzelnen Bürger der Union an, sagte er. Befragt nach der Gefahr eines polnischen EU-Austritts, antwortete der Kommissar: „Es gibt nichts Wichtigeres in meinem Leben, in politischer Hinsicht, als die Überwindung der europäischen Teilung.“

In der Nacht zuvor hatte es während einer Debatte über die umstrittene Justizreform in Polens Parlament Tumulte und wüste Beschimpfungen gegeben. Der Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, stürmte außer der Reihe ans Rednerpult und nannte Oppositionspolitiker „Kanaillen“ und „Verräter“. Er reagierte mit seinem Wutausbruch auf Vorwürfe, er untergrabe die Gewaltenteilung und handele damit dem Willen seines verstorbenen Bruders, des Ex-Präsidenten Lech Kaczynski, zuwider. Kaczynski sagte im Sejm: „Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn zerstört und ermordet“ – in Anspielung auf Gerüchte, der Flugzeugabsturz des Staatsoberhaupts 2010 bei Smolensk sei ein Anschlag gewesen.