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Kampf gegen IS Zivilisten unter Dauerfeuer

Seit mehr als zwei Jahren bombardiert eine von den USA geführte Allianz Ziele des Islamischen Staates. Dabei trifft sie viele Zivilisten.

Von Maren Hennemuth und Jan Kuhlmann, dpa 29.03.2017, 23:01

Bagdad l Es muss eine gewaltige Explosion gewesen sein, die das ganze Viertel erschütterte. In Berichten heißt es, ein dreistöckiges Haus sei in Schutt und Asche gelegt worden, vielleicht sogar mehrere Gebäude. Die Trümmer begruben im Westen der umkämpften nordirakischen IS-Hochburg Mossul Dutzende Zivilisten unter sich, Kinder, Frauen, Alte, ganze Familien, die zusammengepfercht in den unteren Stockwerken Zuflucht gesucht hatten. Iraks Armee meldete etwa 60 Tote. Andere Quellen sprechen von mehr als 100 Opfern.

Schon seit Beginn der Offensive auf die von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehaltene Stadt im vergangenen Oktober wächst täglich das Leiden der Zivilisten. Rund 350.000 Menschen wurden von den Kämpfen vertrieben, Tausende verletzt, Hunderte getötet. Doch die Bombardierung in Mossuls Westen dürfte für die Zivilisten der Stadt die bislang blutigste gewesen sein.

Anwohner und Aktivisten machen für die Explosion einen Luftangriff der US-geführten internationalen Koalition verantwortlich, die die Offensive auf Mossul mit ihren Jets unterstützt. Ein Anwohner West-Mossuls berichtete über Telefon, Flugzeuge hätten am Morgen des 17. März bei der Bombardierung von IS-Scharfschützen mehrere der engen Straßen zerstört. Der US-Kommandeur der Anti-IS-Mission, General Stephen Townsend, hat inzwischen eingeräumt, die USA seien wahrscheinlich beteiligt gewesen.

Wer oder was die heftige Detonation tatsächlich auslöste, ist aber noch nicht endgültig geklärt. Die irakische Armee etwa hat ihre ganz eigene Version, die von einem Luftangriff nichts wissen will. Demnach verminte der IS das Gebäude mit Sprengsätzen. Denkbar ist auch, dass ein Luftangriff ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug traf, das eine Kettendetonation auslöste. „Ich bezweifle, dass eine solche große Zerstörung allein das Ergebnis eines Luftangriffs ist“, sagt der pensionierte irakische General Abdal Karim Khalaf.

Tatsächlich sind immer wieder Berichte zu hören, dass die IS-Anhänger Menschen in Häuser sperren und die Gebäude dann für Angriffe auf ihre Gegner nutzen – mit dem Kalkül, dass die Gegenattacken die Zivilisten treffen. Auch die Flucht ist für Zivilisten fast unmöglich, weil IS-Scharfschützen auf jeden zielen, der sich in Sicherheit bringen will.

Auffällig ist, dass sich seit einigen Wochen Berichte nicht nur aus dem Irak, sondern auch aus Syrien häufen, bei Luftschlägen der US-Koalition seien viele Zivilisten ums Leben gekommen. So wurde in dem nordsyrischen Ort Al-Dschinnah eine Moschee zerstört, während die Gläubigen dort zum Abendgebet zusammengekommen waren. Aktivisten berichteten von mehr als 40 Toten und zeigten mit dem Finger auf das US-Militär – das den Vorwurf jedoch bestritt.

Das Journalistenprojekt Airwars.org, das Informationen zu Luftangriffen sammelt und überprüft, sieht seit Anfang des Jahres einen massiven Anstieg mutmaßlicher ziviler Opfer der Bombardierungen. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, Beweise, die man im Osten Mossuls am Boden gesammelt habe, deuteten auf ein alarmierendes Muster hin. Luftangriffe der US-geführten Koalition hätten ganze Häuser mit Familien zerstört.

Kritiker werfen der neuen US-Regierung schon seit Wochen vor, die Angriffe verschärft zu haben und weniger Rücksicht auf Zivilisten zu nehmen. Irakische Quellen sprechen davon, dass die Amerikaner die Einsatzregeln gelockert hätten, seitdem Präsident Donald Trump im Amt ist. Der Republikaner hatte schließlich im Wahlkampf ein aggressiveres Vorgehen gegen den IS versprochen. „Ich würde die Scheiße aus ihnen herausbomben“, sagte er in einer seiner Reden.

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt forderte der Präsident das Pentagon in einem Papier auf, eine neue Strategie für den Kampf gegen die Terrormiliz vorzulegen. Darin war auch davon die Rede, Änderungen an jeglichen Einsatzregeln oder anderen Bestimmungen vorzuschlagen, die über die Anforderungen des internationalen Rechts hinausgingen.

Aber wurden die Regeln zum Schutz von Zivilisten bei Luftangriffen tatsächlich aufgeweicht? Das US-Militär jedenfalls bestreitet das. Manche Beobachter gehen davon aus, dass die Militärs anders als unter Trumps Vorgänger Barack Obama größere Autonomie besäßen, weshalb das Pentagon unabhängiger vom Weißen Haus agieren könne.

Trotz der Vorfälle in den vergangenen Tagen will das Militär die Strategie der Luftangriffe aber nicht auf den Prüfstand stellen. Es gebe seitens des zuständigen Generals Joseph Votel keine Überlegungen, die Vorgehensweise zu ändern, erklärt Thomas.