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Migration Schotten dicht für Flüchtlinge

Die Europäische Union hat den Flüchtlingsschock von 2015 überwunden. Die verbindende Erkenntnis: Das darf sich nicht wiederholen.

Von Steffen Honig 10.02.2017, 00:01

Berlin l Ist die Flüchtlingskrise passé? Mitnichten. Auf der Balkanroute gibt es zwar keinen Massenandrang mehr nach Norden, doch niemand weiß, wie sich die Lage weiter entwickelt. Zumal der Schiffsweg übers Mittelmeer eine kreuzgefährliche Route für Zehntausende Migranten geblieben ist. Die Zahlen aus dem Vorjahr markieren traurige Höchststände: 181.000 Menschen haben von Afrika nach Europa, sprich: Italien, überzusetzen gewagt, 4500 sind unterwegs ums Leben gekommen.

Über die deutschen und europäischen Strategie in der künftigen Migrationspolitik referiert Staatssekretärin Emily Haber aus dem Bundesinnen- ministerium bei einem Forum des Institus für Europäische Politik in Berlin. Haber, vor dem Ministeriumsdienst an den deutschen Botschaften in Russland und der Türkei tätig, konstatiert, dass durch die Flüchtlingskrise „das Grundvertrauen der Bürger in die Europäische Union Schaden genommen habe“, spricht von einer „Identitäts- und Vertrauenskrise“.

Um diese Missstände zu überwinden, hält sich die Staatssekretärin nicht bei wolkigen Visionen auf. Ihre Sache ist die Realpolitik mit dem strengen Blick auf das Notwendige und Machbare.

Dies ist eine gemeinsame Migrationspolitik der EU. Emily Haber nennt dafür drei unverzichtbare Pfeiler. Wichtig sind Regeln für die Erhaltung des Schengenraumes, der noch immer nicht wieder so funktioniert, wie es in den Verträgen steht. Dann wäre da die Reform des Dublin-Systems, das die Aufnahme von Flüchtlingen regelt und seit dem Herbst 2015 in Trümmern liegt. Bleibt der Außengrenzschutz, der in den vergangenen Monaten erheblich verbessert wurde.

Zusätzlich zu diesem Bündel kommt die Krisenprävention. Sie sei kein Ersatz für die Vorschläge, sondern für Ausnahmefälle gedacht. Siehe Türkei-Abkommen über die Begrenzung der Fluchten nach Griechenland, die Rückführung in die Türkei und die Unterbringung dort. „Der Türkei-Vertrag ist keine Blaupause“, aber er entspreche dem Prinzip „sicherer Drittstaat“. Dies biete Raum für Vereinbarungen mit anderen Drittstaaten in Nordafrika. Die Politikerin räumt ein, dass dies „momentan sehr schwierig“ sei.

Dennoch geht sie noch einen überraschenden Schritt weiter – mit einer Spezifizierung der Drittstaaten-Variante. Haber spricht davon, Migranten auch in „sichere Orte“ zurückzubringen. Verblüffung im Raume: Wie darf man sich das vorstellen? Die Staatssekretärin rudert zurück: Noch sei dies lediglich ein Beratungsgegenstand, keinesfalls für das umkämpfte Libyen gedacht.

Abseits von diesen Ausführungen ist aber eine Parallele zu Afghanistan erkennbar. Obwohl das Land nur zu Teilen sicher genannt werden kann, schiebt die Bundesregierung fleißig Flüchtlinge in das sichere Herkunftsland ab.

Die kritikträchtige Praxis wird bereits mit sicheren Regionen begründet – bis zum sicheren Ort ist es nicht weit. Beispiel Irak: Während Mossul umkämpft ist, könnten Migranten durchaus nach Bagdad geflogen werden. Nur im Asylrecht wären Verschärfungen nötig, schon könnte die Abschiebung nach dem Orts-Modell laufen.

Dass bis Mai in der Migrationspolitik, wie von der EU angestrebt, erste Vereinbarungen unterschriftsreif auf dem Tisch liegen, hält Haber für illusorisch. Doch energisch erklärt die Innenstaatssekretärin: „Wir brauchen ein Europa, das nicht nur Versprechungen macht, sondern diese auch einhält.“ Einem betagten Diplomaten mit reichlich Afrika-Erfahrung reicht das, was die EU bisher plant, nicht: „Das ist die größte Krise, die es bisher gegeben hat. Dagegen sind Trump und Putin vorübergehende Erscheinungen.“