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Rekordtief SPD weiter auf Talfahrt

Nur 16 Prozent in der Wählergunst. Nach dem Schleudergang der letzten Tage bekommt die einstige Volkspartei SPD die Quittung.

Von Georg Ismar 16.02.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Die Leute springen auf, von der Wiedergeburt der SPD ist die Rede. Endlich ist da einer, der wieder klar links sein will, mehr Gerechtigkeit und ein Korrigieren der Agenda-2010-Reformen von Gerhard Schröder verspricht. Zahlreiche Genossen halten Plakate hoch, auf denen steht: „Zeit für Martin!“ oder „Jetzt ist Schulz!“.

Ein Jahr später. Wieder ein politischer Aschermittwoch bei der nordrhein-westfälischen SPD. Der gleiche Ort, der holzgetäfelte Festsaal der Gaststätte Freischütz in Schwerte bei Dortmund. Martin Schulz ist am Vortag in Berlin als SPD-Chef zurückgetreten – „ohne Wut und Groll“, wie er sagt.

Andrea Nahles ist als erste Frau für den Parteivorsitz nominiert worden. Kein Jubel, keine Plakate. Nur freundlicher Applaus, als sie im roten Mantel in den Saal marschiert. Nach dem Schulz-Fiasko und fast grotesken Querelen kommt nun die Quittung: Im ARD-Deutschlandtrend Extra fällt die SPD auf 16 Prozent, nur noch einen Punkt liegt sie vor der rechtspopulistischen AfD. Nahles, die Trümmerfrau der SPD, wird nicht als große Hoffnungsträgerin gesehen: Nur 33 Prozent sind der Meinung, dass sie in der Lage wäre, die SPD wieder zu einen und nach vorne zu bringen. Auch bei den SPD-Anhängern sind es nur 48 Prozent.

Fünf Gründe für den Niedergang:

1. Schlingerkurs

Mitte und wirtschaftsnah oder klar links. Martin Schulz stand symptomatisch dafür: erst links, keine Große Koalition mehr. Dann wieder mehr Mitte, Ende der Oppositionsromantik, fragwürdige Kompromisse mit der Union. Peer Steinbrück wurde wiederum im Wahlkampf 2013 zu einem linken Wahlkampf gezwungen, der nie zu ihm passte. So schlingert die Partei seit Jahren zwischen den Folgen der Schröder-Jahre, während Merkel die Agenda-Politik klar und deutlich lobt – sie gilt als ein Grund für die guten Wirtschaftsdaten heute.

2. Das Ost-Problem

Neben Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin von Meckleburg-Vorpommern, hat die Partei kaum bekannte Gesichter in Ostdeutschland, weite Landstriche werden wie im Süden zur Diaspora. 14,3 Prozent errang die SPD in den ostdeutschen Ländern bei der Bundestagswahl – die AfD satte 22,5 Prozent. Setzt man die richtigen Akzente? Die SPD setzte sich in den Koalitionsverhandlungen für mehr Geld für Europa ein – und kämpfte gegen eine Flüchtlings-Obergrenze. Das sind aber beides Themen, die viele der sogenannten kleinen Leute komplett anders sehen – in Ostdeutschland, aber auch im Ruhrgebiet.

3. Auflösung von Milieus

Es gibt heute kaum noch die sozialdemokratischen „Lebenswelten“ und die klassische Arbeiterklientel mit festen Milieus, wo eine Familie immer das Kreuz bei den „Roten“ macht. Und einige der Spitzenfunktionäre leben in der „Blase Berlin“, verlieren den Kontakt zur Basis. Da wird die „Ehe für alle“ zu einem der größten Erfolge der letzten Jahre hochstilisiert. Aber das geht an den täglichen Sorgen vieler Bürger vorbei.

4. Fehlende Idee

Unter Willy Brandt wurde die SPD so erfolgreich, weil sie alten Ballast im Godesberger Programm von 1959 abgeworfen hat, der Marxismus als Ziel wurde aufgegeben. Man bekannte sich zum freien Wettbewerb, mauserte sich zur pragmatischen Volkspartei, die sich der Kirche und den Unternehmern annäherte. Wegweisende Konzepte wie die neue Ostpolitik, eine Bildungsoffensive, gesellschaftliche Öffnung, dafür stand die SPD. Doch seit dem Verlust der Kanzlerschaft 2005 und den Wunden der Arbeitsmarktreformen Schröders fehlt der SPD eine Zukunftsidee und klare Antworten.

5. Parteienkrise

Die französischen Sozialisten mussten sogar ihre Parteizentrale verkaufen, auch in Österreich und Italien sind die Sozialdemokraten in schwerer Not, während der Altlinke Jeremy Corbyn (wie Bernie Sanders in den USA) mit einem dezidiert linken Kurs die britische Labour Party beflügelt hat. Vieles hängt aber am Personal in Zeiten, wo traditionelle Parteien an Bindungskraft verlieren. Das zeigen die Aufstiege von Emmanuel Macron in Frankreich und Sebastian Kurz in Österreich, die alles auf ihre Person zugeschnitten haben.

Die SPD ist derzeit eine Volkspartei außer Dienst, diese spricht Wähler in allen Bevölkerungsschichten an und hat die Chance zur Mehrheitsfähigkeit. Es ist keine fünf Jahre her, da feierte man im Leipziger Gewandhaus den 150. Geburtstag der deutschen Sozialdemokratie.

Die SPD hat schon viele Stürme überstanden. Aber zuletzt schritten die Genossen alles andere als „Seit‘ an Seit‘“, wie es in einem Lied der Arbeiterbewegung heißt. Auf Andrea Nahles wartet nichts anderes als eine existenzbedrohende Krise.