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Selfie Nahles rückt ganz nach vorn

Noch vor einem Jahr wurde Martin Schulz (SPD) von seiner Partei gefeidert. Jetzt rückt er in die hintere Reihe.

07.02.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Das Bild spricht schon Bände. Nach der mit der Union durchverhandelten Nacht und dem weißen Rauch für einen Vertrag über eine Große Koalition veröffentlicht die SPD-Spitze um 10.37 Uhr ein Selfie-Bild. Aufgenommen von Generalsekretär Lars Klingbeil. Neben ihm vorne Vize Olaf Scholz und Fraktionschefin Andrea Nahles. Im Hintergrund, hinter Nahles, fast versteckt: SPD-Chef Martin Schulz.

„Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht“, schreiben sie dazu. Was da noch keiner draußen weiß: Das ist die neue Hackordnung der Partei. Kein Jahr, nachdem Schulz wie ein Messias mit 100 Prozent zum neuen SPD-Vorsitzenden gewählt worden war und der „Schulz-Zug“ ihn in das Kanzleramt bringen sollte, ist Schulz in die zweite Reihe gerückt.

Es ist die Tragik dieses 7. Februars 2018, dass an dem Tag, an dem die SPD der Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sehr viel abgetrotzt hat, Parteichef Schulz der große Verlierer ist. Neben seinem Vorgänger Sigmar Gabriel.

Zwar soll Schulz, der frühere Präsident des Europaparlaments, Gabriel als Außenminister beerben – obwohl Letzterer derzeit der beliebteste Politiker in Deutschland ist. Aber Schulz (62) wird den Parteivorsitz abgeben – als Vizekanzler ist Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz (59) eingeplant, der auch neuer Bundesfinanzminister werden soll.

Das steht alles unter Vorbehalt. Denn nun hat die Basis das Wort: Rund 463 000 Mitglieder werden in den nächsten Wochen bis Anfang März über den 177 Seiten langen Koalitionsvertrag abstimmen. Die Rochade mit Andrea Nahles (47) als der designierten ersten Vorsitzenden in der 155-jährigen Geschichte der SPD dürfte auch erfolgt sein, um irgendwie das Mitgliedervotum zu überstehen. Nahles hatte mit klarer Kante und schlüssigen Argumenten für den Gang in die ungeliebte GroKo beim Parteitag in Bonn jüngst an der Basis an Zustimmung gewonnen. Sie sei in die SPD eingetreten, „weil ich immer was Großes im Kleinen gesehen habe“, also in kleinen Verbesserungen, von denen dann viele profitierten, sagte Nahles zuletzt.

Auch die neue GroKo soll das für Millionen Bürger schaffen.Kanzlerin Merkel kann nun etwas beruhigter sein, da die Führungsfrage bei der SPD geklärt ist. Merkel schätzt Nahles wie Scholz als professionelle Politiker. Aber wird die Basis alles mittragen? Oder wird nun noch mehr das Anti-GroKo-Lager profitieren? Unter Schulz war die Partei in Umfragen zuletzt auf 17 Prozent abgerutscht. Nahles muss auch den Erneuerungsprozess steuern und eine Idee entwickeln, wofür die Partei eigentlich steht, wohin sie eigentlich will.

Dass Schulz auch an den eigenen taktischen Fehlern und Volten gescheitert ist, zeigte der Schlussakkord in dem Drama. So hatte er die Ministernamen und seine eigenen Pläne erst nach dem Mitgliederentscheid bekanntgeben wollen. Das ging krachend schief. Das Schweigegelübde der Verhandler hielt nicht wie geplant knapp vier Wochen bis nach dem Entscheid, sondern nicht mal vierzig Minuten. Seit Wochen war der Druck auf Schulz gewachsen, den Weg freizumachen. Erst sein unglückliches Agieren nach der Bundestagswahl, dann sein zweimaliger Ausschluss einer Großen Koalition mit folgender 180-Grad-Wende nach dem Aus der Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen. Und dann natürlich sein eigentlich klares Bekenntnis: „Ganz klar. In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“ Auch dieses Versprechen wird er wohl nicht halten.

Was für ein Jahr für den Mann aus Würselen. Nach seiner Nominierung war die Partei im Rausch, in Umfragen kam die SPD auf 30 Prozent und mehr. Lichtgestalt Schulz. Doch irgendwann ging es nur noch steil bergab. Eine Landtagswahl nach der anderen ging verloren. Der vorläufige Tiefpunkt: der Parteitag in Bonn Ende Januar, der grünes Licht für die Verhandlungen über die Große Koalition geben sollte. Schulz hielt dort eine kraftlose Rede, die Delegierten ließen ihn mit dürftigem Applaus schonungslos auflaufen. Am Ende hielt dort Nahles die Rede, die eigentlich Schulz hätte halten sollen.