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Sozialwahl Für mehr Wahlbeteiligung

Die Sozialwahl ist für viele Versicherte ein Buch mit sieben Siegeln. Wer wird gewählt? Was bringt die Wahl? Es fehlt an Transparenz.

25.04.2017, 19:48

Berlin (dpa) l Die Bundesbeauftragte für die Sozialwahlen, Rita Pawelski, war sichtlich sauer. Einige Kommunen weigerten sich, Werbung für die Sozialwahl 2017 zu machen, darunter München, Nürnberg und Braunschweig, Dresden, Erfurt und Magdeburg. Eine Unverschämtheit, sei doch die Wahl vom Gesetzgeber vorgegeben, sagte Pawelski am Dienstag beim Wahlauftakt. Das Ärgernis für die Bundesbeauftragte sagt auch etwas über das Image der Sozialwahl. Sie ist zwar nach Bundes- und Europawahl die drittgrößte Wahl im Lande, aber hat eine Wahlbeteiligung von nur rund 30 Prozent.

Was ist die Sozialwahl?

Die gesetzlichen Sozialversicherungen sind selbstverwaltet. Das heißt, sie sind keine staatlichen Behörden, sondern eigenständige Körperschaften und haben deshalb ihre eigenen Parlamente. Bei der Sozialwahl wählen Rentenversicherte und Rentner sowie Krankenkassenmitglieder die Vertreterversammlung sowie den Verwaltungsrat. Der Gesetzgeber hat die Sozialwahl seit 1953 alle sechs Jahre als festen demokratischen Bestandteil in Deutschland verankert. Die Sozialwahl ist eine reine Briefwahl. Die Wahlunterlagen werden in diesen Tagen per Post zugestellt. Stichtag ist 31. Mai 2017.

Wer wird gewählt?

Bei der Sozialwahl kandidieren Versicherte. Die Kandidaten werden aber nicht direkt gewählt, sondern sie treten gemeinsam in Listen an. Die Zusammenstellung der Listen übernehmen Organisationen wie Gewerkschaften oder andere Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischen Zielen. Versicherte können auch Freie Listen aufstellen. Alle gewählten Vertreter engagieren sich ehrenamtlich.

Ist das Verfahren transparent genug?

Nein, sagt Pawelski. Auf Arbeitgeberseite gibt es nämlich regelmäßig nur eine einzige Kandidatenliste, die dann automatisch gewählt wird. Auch auf Versichertenseite wird häufig für ein Parlament nur eine einzige Liste ausgekungelt, vorzugsweise von Gewerkschaften. Nur zehn Renten- und Krankenversicherungsträger bitten zur Sozialwahl 2017. Die anderen machen eine sogenannte Friedenswahl ohne echten Wahlgang. Sie kungeln eine Kandidatenliste aus, die dann gewählt wird "ohne Wahlhandlung", wie das genannt wird. Das klingt wenig demokratisch.

Was machen die gewählten Vertreter?

In Deutschland legt der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für das Renten- und Krankenversicherungssystem fest. Die Selbstverwaltung füllt diesen Rahmen aus. Sie befinden unter anderem über oft milliardenschwere Haushalte, die Gestaltung neuer Leistungen, über Zusatzbeiträge oder auch über Fusionen. Dann hört es aber auch fast schon auf. Die Rentenversicherung etwa hat wenig Einfluss auf Rentenhöhe und Beitragsätze für die Versicherten.
Den Krankenkassen wird zwar auch der überwiegende Teil der Leistungen vorgeschrieben. Doch die Vertreterversammlung kann darüber hinaus zusätzliche Leistungen beschließen. Einige Kassen bezuschussen etwa künstliche Befruchtung. Zudem können sie die Zusatzbeiträge festlegen, den die Mitglieder allein aufbringen müssen. Doch selbst beim Zusatzbeitrag zeigt das Gesundheitsministerium durch seine Schätzerprognose Grenzen auf.

Wie ist der politische Einfluss der Parlamente?

Grundsätzlich werden die Versicherungsträger bei politischen Entscheidungen wie Sozialreformen gefragt. Doch in den Parlamenten haben Vertreter von Rentenversicherten und Rentnern sowie Krankenversicherungsmitgliedern auf der einen und Vertreter der Arbeitgeber auf der anderen Seite in der Regel im Verhältnis 15 zu 15 Sitz und Stimme. Dieses Stimmverhältnis kann sich gegenseitig blockieren, so dass politischer Einfluss begrenzt bleibt.
Wiederholt beklagte die Rentenversicherung ohne Erfolg, dass zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben wie der Ost-West-Rentenangleichung bis 2025 oder der Mütterrente nicht die Staats-, sondern die Rentenkasse mit Milliardensummen herhalten müsse. Zur Zeit streiten sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite um das mittel- und langfristige Rentenniveau.

Wer ist bei wem wahlberechtigt und wie wird gewählt?

2017 bestimmen zwischen 51 und 52 Millionen Versicherte und Rentner darüber, wer bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Deutschen Rentenversicherung Saarland und bei den Ersatzkassen Barmer, TK, DAK-Gesundheit, KKH und hkk in den Parlamenten sitzt. Wahlberechtigt ist, wer am 1. Januar 2017 das 16. Lebensjahr vollendet hat.

Wie könnte die Wahlbeteiligung erhöht werden?

Mehr Transparenz, weniger Mauscheln, mehr Aufklärung, mehr Urwahlen bei den Versicherungsträgern und neue Wahlmöglichkeiten. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) sagt, mittelfristig sollten vor allem junge Wahlberechtigte online wählen können. Der Sozialstaat und die Sozialwahl sollten auf der Höhe der Zeit sein.