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Transparenz Politiker, dann Lobbyist?

Transparency International beklagt die Wechsel von Parlamentariern in die Wirtschaft und fordert mehr Aufsicht.

Von Martina Herzog 31.01.2017, 23:01

Brüssel (dpa) l Als José Manuel Barroso im vergangenen Jahr zur Investmentbank Goldman Sachs wechselte, war die Empörung groß. Doch seine Pflichten hat der langjährige Chef der EU-Kommission mit der Annahme seines Beraterjobs nicht verletzt – das lastet ihm nicht einmal Transparency International an. Aber ein „fantastisches Rekrutierungswerkzeug für Euroskeptiker“ sei der Fall allemal, schimpft Daniel Freund von der Anti-Korruptions-Organisation.

Der Einzelfall ist aus Sicht von Transparency symptomatisch und ein am Dienstag in Brüssel veröffentlichter Bericht will das belegen. Die Karrierewege von 27 Ex-Kommissaren und von 485 ehemaligen EU-Abgeordneten hat die Organisation nachvollzogen.

Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der EU-Kommissare, die seit 2009 die Brüsseler Behörde verlassen haben, arbeitet nun für eine Organisation mit Eintrag im EU-Lobbyregister. 171 frühere Parlamentarier sind laut Transparency keine aktiven Politiker mehr. Von diesen arbeiteten 30 Prozent für Organisationen, die im europäischen Lobby-Register eingetragen sind, darunter auch sieben frühere deutsche Abgeordnete. Doch nicht alle sind Lobbyisten geworden: Die Datenbank listet neben Branchenverbänden etwa auch Universitäten auf. Nur 26 der Ex-Parlamentarier arbeiten direkt für Beraterfirmen, die Einfluss auf EU-Politik nehmen wollen.

Ist das anrüchig? Wenn solche Seitenwechsel verboten wären, dann blieben ja nur noch vermeintlich weltfremde Berufspolitiker übrig. Das will auch Transparency nicht. „Alle Organisationen können von der Expertise und dem Einblick profitieren, die frühere Politiker mitbringen können“, sagt Freund. Aber „ein Problem“ sei der schnelle Seitenwechsel.

Die Aufsicht müsse deutlich besser werden, am besten mit Hilfe längerer Karenzzeiten und einer unabhängigen Stelle, die früheren EU-Politikern und Mitarbeitern auf die Finger schaut, heißt es. Vorbild könnten hier Kanada und Frankreich sein.

Auch die EU-Kommission hat der Barroso-Wirbel wachgerüttelt. Barrosos Nachfolger Jean-Claude Juncker will die Auszeit, während der Ex-Kommissionspräsidenten nicht ohne Zustimmung der Behörde in die Wirtschaft wechseln dürfen, von 18 Monaten auf drei Jahre ausdehnen. Für die übrigen Kommissionsmitglieder soll eine Frist von zwei Jahren gelten.

Reformen seien dringend nötig, meint Transparency – schon um denjenigen Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Organisationen wie die EU als Versorgungswerk für eine korrupte Elite verunglimpfen. Und Grund zur Aufsicht sieht Transparency auch anderswo. „Das ist ein Phänomen, das in ähnlichem Ausmaß in London, in Paris, in Berlin, in Washington existiert“, sagt Freund. „Das ist nicht ein Problem, das nur hier in Brüssel vorkommt.“