1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Erdogan will in EU für Reform werben

Kundgebung Erdogan will in EU für Reform werben

Der tükische Ministerpräsident verteidigt vor 10.000 Zuhörern in Oberhausen das geplante Präsidialsystem für sein Land.

Von Constanze Letsch und Helge Toben, dpa 19.02.2017, 23:01

Oberhausen l Nach dem Werbeauftritt des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim will auch Staatschef Recep Tayyip Erdogan in der EU für die umstrittene Verfassungsreform werben. „Unser Staatspräsident beabsichtigt ebenfalls, zu den türkischen Bürgern in Europa zu sprechen“, sagte Yildirim am Sonntag vor Journalisten in München. In welcher Stadt, sei noch nicht klar. „Aber es laufen Vorbereitungen.“ Am Tag zuvor hatte Yildirim im nordrhein-westfälischen Oberhausen vor rund 10.000 Menschen für die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei geworben.

Der Systemwechsel in der Türkei würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und unter anderem das Amt des Ministerpräsidenten abschaffen. Am 16. April soll das türkische Volk über die Verfassungsreform abstimmen. An dem Referendum können sich auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken beteiligen, darunter rund 1,41 Millionen Türken in Deutschland. Erdogan hatte bereits in der Vergangenheit Wahlkampf in Deutschland betrieben und war damit auf scharfe Kritik gestoßen.

Bei seinem Auftritt in Oberhausen verbat sich Yildirim Kritik an dem Präsidialsystem. „Sie sagen, dass ein Ein-Mann-System kommt“, sagte er über Kritiker der Reform. „Gibt es in Deutschland etwa zwei Kanzler? In einem Präsidialsystem gibt es natürlich nur einen Präsidenten. Auf einem Schiff kann es nicht zwei Kapitäne geben.“

Er forderte zudem die in Deutschland lebenden Türken zu „sehr hohem Selbstbewusstsein“ auf. „Ich möchte, dass ihr euren Pass der Republik Türkei und eure Identität mit Stolz tragt“, sagte er. Zugleich rief er dazu auf, Deutsch zu lernen und von politischen Mitspracherechten Gebrauch zu machen.

Yildirim plant nach eigenen Angaben weitere Werbeveranstaltungen in der EU. Neben Deutschland könnten diese auch in Belgien, den Niederlanden oder Dänemark stattfinden, sagte er am Sonntag. „Ich glaube nicht, dass das zu irgendwelchen Irritationen führt.“

Rund 750 Menschen hatten gegen den Auftritt Yildirims am Sonnabend demonstriert. Sie beteiligten sich an einer Kundgebung und einem Protestmarsch in Oberhausen. Beide verliefen einer Polizeisprecherin zufolge friedlich. Einem Journalisten der Zeitung „taz“ wurde der Zutritt zu der Veranstaltung trotz Akkreditierung verweigert. Die „taz“-Chefredaktion sprach von einer „politischen Maßregelung“.

Der Auftritt des Ministerpräsidenten in Oberhausen wurde von deutschen Politikern scharf kritisiert. „Wer bei uns Meinungsfreiheit beansprucht, sollte auch selbst Rechtsstaat und Pressefreiheit gewährleisten“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Der Grünen-Chef Cem Özdemir twitterte: „Wenn Yildirim hier für Diktatur werben darf, möchte ich auf dem Taksim Platz dagegen demonstrieren. Wie steht Erdogan dann zu Meinungsfreiheit?“ In der Regel werden auf dem zentralen Taksim Platz in Istanbul keine regierungskritischen Demonstrationen zugelassen.

Im Vorfeld der Veranstaltung sagte die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner: „Solche antidemokratischen und autoritären Werbeveranstaltungen haben auf deutschem Boden nichts verloren, zumal damit auch innertürkische Konflikte in unser Land getragen werden.“

Seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 geht die türkische Regierung verstärkt gegen Oppositionelle und kritische Medien vor.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hielt den Auftritt Yildirims für richtig: „In einer Demokratie muss das möglich sein, auch wenn die geplante Reform in der Türkei das Land noch weiter von einer Demokratie entfernt“, sagte er der Funke Mediengrupe.

Allerdings kritisierte er die Kampagne der türkischen Regierung, „bei der Gegner der Reform als Staatsfeinde oder Terroristen denunziert werden“. „Ich appelliere an die Türken in Deutschland, sich kritisch mit der Reform in der Türkei auseinanderzusetzen und sich die Demokratie der deutschen Verfassung zum Vorbild zu nehmen.“

Yildirim lud deutsche Politiker ein, in der Türkei Wahlkampf zu machen. Nach seinen Angaben leben 70 000 bis 80 000 Deutsche in der Türkei. „Es ist doch selbstverständlich und natürlich, dass man sich mit den eigenen Bürgern trifft“, sagte er am Sonntag.