1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Grüne blinken links - aber ohne klaren Kurs

Vermögensteuer Grüne blinken links - aber ohne klaren Kurs

Die Grünen wollen eine Vermögensteuer einführen. Auf dem Parteitag gibt es Wirbel um den Auftritt von Daimler-Boss Dieter Zetsche.

13.11.2016, 23:01

Berlin (dpa) l Sie können noch leidenschaftlich sein, die Grünen. Auch wenn dafür erst der Gegner vor der Tür stehen muss. Der Gastauftritt von Daimler-Boss Dieter Zetsche ist der emotionale Höhepunkt des Bundesparteitags. Sogar ein kleines Protestbanner wird entrollt. Es geht um den Markenkern der Grünen, den Umwelt- und Klimaschutz, da fühlt die Partei sich zu Hause.

Einer kann bei dieser Gelegenheit besonders glänzen: Cem Özdemir, der Parteichef, der Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl werden will und mit der Einladung Zetsches Teile der Basis schwer verstimmt hat. Am Sonntag begrüßt er ihn – und reißt die Delegierten von den Sitzen, das erste Mal in den drei Tagen. Die Grünen hätten doch die besten Argumente, ruft er. „Wovor haben wir Angst?“

Das kann die Partei ihm wohl nicht ohne Weiteres beantworten. Der Zetsche-Auftritt fasst gut zusammen, was auf dem Parteitag sonst noch passiert ist. Es gibt Protest, aber Zetsche darf sprechen. Die Grünen wollen eine Vermögensteuer, aber nur für „Superreiche“ und schonend für die Unternehmen. Sie wollen das Ehegattensplitting abschaffen, aber nicht für diejenigen, die schon verheiratet sind. Ein Antrag zur Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen kommt nicht vom Bundesvorstand. Dass er eine – nicht allzu große – Mehrheit findet, überrascht viele.

In Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens, wollten sie vor allem ihren Steuerstreit endlich beilegen. Waren sie erfolgreich? Nur, wenn sie jetzt aufhören, sich ständig gegenseitig zu widersprechen. Dazu lädt die Formulierung des Beschlusses aber geradezu ein. Eine Steuer „für Superreiche“, die verfassungsfest, ergiebig und umsetzbar ist, die Arbeitsplätze und Innovationskraft von Unternehmen nicht gefährdet. Das wird kompliziert. „Diese Steuer wird nie kommen“, sagen führende Realo-Köpfe.

Und wer überhaupt ist superreich? Die offene Formulierung ist Absicht. Bis ins Detail ausgearbeitete Steuerpläne zahlen sich nicht aus, das haben die Grünen bei der letzten Bundestagswahl (8,4 Prozent) schmerzlich erfahren. Das Image der Steuererhöhungs- und Verbotspartei wollen sie diesmal auf jeden Fall vermeiden.

Vermögensteuer im Wahlprogramm, das klingt nach Rot-Rot-Grün. Die Linke hat längst ein ausformuliertes Vermögensteuer-Programm, die SPD überlegt noch, die Union ist jedenfalls strikt dagegen. Haben die Grünen also eine Richtungsentscheidung getroffen? „Das halte ich für Quatsch“, sagt Realo-Vertreter Özdemir. Das Gegenteil sei der Fall: Wer die Grünen nach links rücke, mache das „R2G“ genannte Mitte-Links-Bündnis unwahrscheinlicher. Schließlich brauche es dann die Grünen erst recht als bürgerliches Gegengewicht.

Das dürften die Parteilinken anders sehen. Sie verbuchen die Entscheidung jedenfalls als Sieg. Jürgen Trittin hüpft vor Freude kurz, die Vorsitzende Simone Peter sieht erleichtert aus, Fraktionschef Anton Hofreiter grinst auch am Abend noch zufrieden.

Sie haben keine leichte Zeit hinter sich. Dass der Oberrealo Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg einen Grünen-Wahlsieg eingefahren hat, war eine Sensation. Aber der linke Flügel fürchtet um seine Werte. „Wir bleiben unbequem“ ist das Motto dieses Parteitags. Es wirkt, als wollten die Grünen das vor allem sich selbst sagen.