1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Journalisten vor Gericht

Vorwürfe Journalisten vor Gericht

Seit Monaten sitzen Mitarbeiter der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ in U-Haft. Nun läuft ihr Prozess - wegen Terrorunterstützung.

24.07.2017, 17:58

Istanbul (dpa) l Mehr als 250 Tage nach ihrer Inhaftierung hat in Istanbul der Prozess gegen zahlreiche Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ begonnen. Der Auftakt am Montag in Istanbul wurde von scharfer internationaler Kritik begleitet. Reporter ohne Grenzen (ROG) nannte die Vorwürfe gegen die 17 „Cumhuriyet“-Angeklagten „absurd“. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) forderte ein sofortiges Ende des Verfahrens wegen Unterstützung von Terrororganisationen und die Freilassung der Inhaftierten.

Die ersten Angeklagten wiesen jede Schuld zurück. Der inhaftierte Journalist Kadri Gürsel, der dem Vorstand des International Press Insitute (IPI) angehört, nannte die Terrorvorwürfe „erfunden“. Gürsel warf der Staatsanwaltschaft vor: „Sie können keinen einzigen echten Beweis finden.“ Ihm würden unter anderem Kontakte zu Terrorverdächtigen vorgeworfen, die er entweder nicht gehabt habe oder die im Zusammenhang mit seiner Arbeit gestanden hätten. Er fügte hinzu: „Journalismus ist kein Verbrechen.“ Angeklagt sind insgesamt 17 „Cumhuriyet“-Mitarbeiter: Elf der zwölf Mitarbeiter in Untersuchungshaft, fünf weitere Mitarbeiter der Zeitung, die noch auf freiem Fuß sind, sowie Ex-Chefredakteur Can Dündar. Dündar lebt im Exil in Deutschland. Vor Gericht müssen sich unter anderem der derzeitige Chefredakteur Murat Sabuncu, „Cumhuriyet“-Herausgeber Akin Atalay und der Investigativjournalist Ahmet Sik verantworten. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (ROG) drohen den Angeklagten bis zu 43 Jahre Haft.

Der Beauftragte für Medienfreiheit bei der OSZE, Harlem Désir, forderte die Türkei auf, „alle Anschuldigungen fallenzulassen, alle Journalisten, die wegen ihrer Arbeit inhaftiert wurden, freizulassen, und dringend benötigte Reformen einzuleiten, um die Medienfreiheit im Land zu schützen“. ROG-Geschäftsführer Christian Mihr sagte, die Beschuldigung, Terrororganisationen zu unterstützen, sei inzwischen „der Standardvorwurf gegen alle, die unabhängig berichten“. Kritische Journalisten stünden unter enormem Druck, „weil jeder damit rechnen muss, morgen der Nächste zu sein, der im Gefängnis landet aufgrund absurder und nicht zu haltender Vorwürfe“. Mihr gehört zu mehreren internationalen Beobachtern des Prozesses. Er beteiligte sich zuvor mit einigen Dutzend Unterstützern der Angeklagten an einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude.

Die Anwälte des in der Türkei inhaftierten deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner und von dessen schwedischem Kollegen Ali Gharavi legten unterdessen Einspruch gegen die Untersuchungshaft ein. Anwalt Murat Boduroglu sagte, er rechne heute mit einer Entscheidung des Istanbuler Gerichts. Erstmals hätten gestern Vertreter des deutschen und des schwedischen Generalkonsulats Zugang zu Steudtner und Gharavi in der U-Haft bekommen.

Steudtner, Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5. Juli festgenommen worden. Acht der insgesamt zehn Beschuldigten sitzen in Untersuchungshaft, darunter neben den beiden Ausländern auch Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser. Der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, kündigte an, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini aufzufordern, sich beim türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu für die Freilassung inhaftierter Menschenrechtler einzusetzen. Unter ihnen ist neben Amnesty-Direktorin Eser auch Anmesty-Vorstand Taner Kilic.

Unterdessen gab die Bundesregierung bekannt, dass die Türkei nicht wegen des Verdachts terroristischer Unterstützung gegen deutsche Unternehmen ermittle. Dies habe der türkische Innenminister in einem Telefonat mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mitgeteilt, sagte ein Ministeriumssprecher.

Der türkische Innenminister habe von einem „Kommunikationsproblem“ gesprochen. Er habe versichert, dass weder türkische Behörden in der Türkei noch in Deutschland gegen Unternehmen ermittelten, die auf einer Liste aufgeführt worden seien.

Zudem habe die Interpol-Stelle in Ankara am vergangenen Sonnabend die ursprüngliche Bitte an das BKA „förmlich zurückgezogen“, zu diesen Unternehmen verschiedene Informationen zuzuliefern.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte vor Investitionen deutscher Firmen in der Türkei gewarnt.