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Brustimplantate Der lange Weg zum Schmerzensgeld

Hunderttausende Frauen haben sich gefährliche Brustimplantate einsetzen lassen. Ein Urteil könnte die Übernahme von Schmerzensgeld regeln.

15.02.2017, 23:01

Luxemburg (dpa) l Der Skandal kam vor fast sieben Jahren ans Licht – doch noch immer wissen Tausende Frauen nicht, ob sie je Schmerzensgeld sehen werden. Sie hatten sich Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) einsetzen lassen. Was sie nicht ahnten: Die Kissen waren über Jahre mit billigem Industrie-Silikon gefüllt worden und extrem reißanfällig. Auch der Tüv Rheinland, der das Qualitätssicherungssystem von PIP zertifiziert hatte, wusste davon nach eigenen Angaben nichts.

Eine Frau aus der Pfalz hat den Tüv Rheinland auf 40 000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Ihre PIP-Brustimplantate ließ sie sich 2012 auf ärztlichen Rat entnehmen. Vor Gericht argumentierte sie: Mit unangekündigten Kontrollen im Betrieb und Prüfungen der Implantate hätte der Tüv dem Pfusch auf die Schliche kommen können. Vor zwei Gerichten scheiterte die Frau mit ihrer Klage. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat nun den EuGH um Klärung gebeten.

Der Europäische Gerichtshof soll in seinem Urteil heute Grundsätzliches klären: Müssen technische Prüfstellen wie der Tüv Rheinland überhaupt haften, wenn Firmen unter ihrer Kontrolle gesundheitsgefährdende Medizinprodukte auf den Markt bringen? Und wenn ja: Was müssen Prüfer unternehmen, um sicherzustellen, dass die Hersteller die einmal abgesegneten Qualitätsstandards auch einhalten?

Das bleibt abzuwarten. Eine wichtige EU-Gutachterin hat sich dafür ausgesprochen, dass Prüfstellen tatsächlich gegenüber Patienten haften müssen, wenn sie bei der Qualitätssicherung von Medizinprodukten ihre Kontrollpflichten nicht erfüllen. Gibt es Hinweise auf mögliche Schlampereien und Gesundheitsgefahren, müssten die Prüfstellen zudem alles tun, um herauszufinden, ob eine erteilte Zertifizierung weiter gelten kann. Oft folgt das Gericht solchen Gutachten.

Es steht fest, dass der Tüv jahrelang zu angemeldeten Kontrollen bei PIP erschienen ist. Überraschend besuchten die Prüfer das Unternehmen jedoch nicht. Auch die Implantate selbst kontrollierten sie nicht. Der Tüv betonte in früheren Stellungnahmen, er habe stets verantwortungsvoll gehandelt und sei Opfer eines groß angelegten Betrugs geworden. PIP habe verschleiert, dass minderwertiges Silikon verwendet wurde. Sofort nachdem die zuständige französische Behörde den Pfusch im März 2010 aufdeckte, habe der Tüv die Zertifikate ausgesetzt. Die Firma ging kurz darauf pleite.

Eher schlecht. Bislang hatten die meisten Gerichte nichts an der Prüfroutine des Tüv auszusetzen. In Deutschland ist der Verein nach eigenen Angaben in Dutzenden Verfahren nie schuldig gesprochen worden. Die EU-Gutachterin schreibt in ihrem Schlussantrag, dass keine generelle Pflicht bestehe, unangemeldet Betriebe zu besuchen oder die Medizinprodukte selbst zu prüfen. Folgt der EuGH dieser Argumentation, sind die Vorwürfe der Frau entkräftet. Den konkreten Fall und andere Verfahren hierzulande müssen aber deutsche Gerichte entscheiden und dabei der Auslegung des EuGH folgen.