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Freundschaften Weit weg und doch so nah

Der 30. Juli ist der internationale Tag der Freundschaft. In der digitalen Welt ist sie per Computer vernetzt - manchmal aber ganz analog.

Von Dan Tebel 30.07.2016, 01:01

Magdeburg/Graz/St. Cloud/Meschede l Tausende Kilometer trennen Matti Holz und Jennifer Boeckmann voneinander. Sie leben auf zwei verschiedenen Kontinenten. Ihre Postkästen sehen unterschiedlich aus, sie haben verschiedene Freundeskreise und unterschiedliche Ausbildungs-systeme. Dennoch verbindet den gelernten Hotelfachmann aus Schönebeck in Sachsen-Anhalt und die Krankenschwester aus St. Cloud im US-amerikanischen Minnesota eine innige und langjährige Freundschaft - obwohl sie sich erst ein Mal gesehen haben.

Mit einem handgeschriebenen Brief begann alles. Der Letternet-Club, eine Initiative der Deutschen Post, brachte die beiden 2003 zusammen. "Eine Mitschülerin kam mit einem Stapel Briefe in die Schule, nachdem sie sich an einem deutschen Projekt für Brieffreundschaften beteiligt hatte. Es war eine coole Idee, also zog ich einen Brief aus dem Stapel. Es war der von Matti", blickt die 26-jährige Jennifer Boeckmann zurück. Kurze Zeit später hielt Matti Holz seinen ersten Brief aus St. Cloud in den Händen.

"Der braucht etwa eine Woche für die Strecke. Das macht etwa zwei Briefe im Monat, die wir austauschen konnten", schreibt der 26-jährige Matti Holz. Und trotzdem tauschten sie sich darüber aus und lernten sich näher kennen. Einmal ist ein Brief abhandengekommen: „Da gab es dann vom Sommer 2004 bis Ende 2005 keinen Kontakt, weil wir uns gegenseitig ‚bewarteten‘. Es wusste ja niemand von dem Verlust". Telefonieren sei wegen der Zeitumstellung schwierig gewesen. Ihren schriftlichen Draht haben sie trotzdem wiedergefunden, nachdem Matti Holz ein neues Schreiben aufgesetzt hatte.

Den Gang zum blechernen Postkasten sparen sich die beiden aber seit rund zehn Jahren, denn mit dem Einzug des Internets in die Haushalte blieben die Briefkästen der beiden leer. Handgeschriebene Briefe mit den neusten Infos aus dem Leben des jeweils anderen finden sie dort seit dem Austausch der E-Mail-Adressen 2006 nicht mehr. Ihre Brieffreundschaft hat sich bis 2016 verändert. Sie ist digital geworden und lebt nun von E-Mails, Skype und Whatsapp.

Das blinkende Nachrichtensymbol auf dem Smartphone-Bildschirm verrät nun das Mitteilungsbedürfnis. „Geburtstagsgrüße, ein kurzes 'Hallo' oder einfach das aktuelle Mittagessen: alles kann geteilt werden und das lässt uns zusammenrücken. Außerdem dauert die Antwort keine zwei Wochen", beschreibt Matti Holz die Vorteile der digitalen Kommunikation. Ihre Freundschaft wurde damit intensiver und persönlicher. Mittlerweile schreiben sie sich mehrmals pro Woche, manchmal sogar am Tag. Beide sind immer verbunden, egal wie weit entfernt. „Während wir über Skype miteinander sprechen, können wir uns in Echtzeit Bilder anschauen", schreibt Matti per E-Mail.

Sich beim Reden in die Augen zu sehen, ersetzt aber selbst die modernste Methode nur bedingt. Da sind sich die beiden einig. Deswegen besuchte Matti seine einzige Brieffreundin 2013 persönlich und verbrachte zwei Wochen in Minnesota. „Das war sehr intensiv und aufregend", resümiert der gebürtige Schönbecker, der mittlerweile im österreichischen Graz lebt. Das nächste Mal will Jennifer nach Europa kommen. Sie sei froh, so viele Möglichkeiten zu haben, mit Menschen in Kontakt zu treten, aber ein persönliches Gespräch sei ihr immer noch das liebste, schreibt sie.

Aber was ist eigentlich aus den handgeschriebenen Briefen geworden, mit dem ihre Freundschaft begann? „Es ist etwas nostalgisch und romantisch, allerdings spricht heute nichts mehr dafür, auf diesem Wege eine Freundschaft aufzubauen – wenngleich dann solche Freundschaften wie in meinem Fall künftig nur schwer zustande kommen werden", erklärt er. Briefe seien ihm zu langsam und zu teuer. Jennifers Meinung darüber ist zwiespältig: „Handgeschriebene Briefe sind persönlicher. Ich mag die Handschrift und die Art und Weise, wie Menschen schreiben. Aber ohne moderne Technologien hätten wir vielleicht kaum bis gar keinen Kontakt mehr", schreibt sie per E-Mail.

Handgeschriebene Briefe sind für Claudia Hollenhorst aus dem nordrhein-westfälischen Meschede ein Muss. Doch wenn sie ihren Stift ansetzt, dann werden auf dem Papier keine deutschen Worte geschrieben. Seit mittlerweile 52 Jahren verbindet die pensionierte Realschullehrerin eine Freundschaft mit einer Französin. Das Wort "Brieffreundin" benutze sie bewusst nicht mehr. „Wir sind seit langem echte Freundinnen", stellt sie klar. Bereits mit 16 Jahren verbrachte sie die Sommerferien in Frankreich, ohne dass die beiden sich vorher begegnet sind. „Seitdem haben wir uns in den vergangenen Jahren insgesamt neun Mal für jeweils ungefähr zwei Wochen gesehen", schreibt sie per E-Mail. Im Sommer 2017 sei wieder ein Besuch geplant. Kennengelernt haben sich die beiden über eine Anzeige in einer Mädchenzeitschrift, die Claudia Hollenhorst aufgegeben hatte.

Für die 66-Jährige hätten Brieffreundschaften die Tore zur Welt geöffnet. Seit 48 Jahren schreibt sie mit einem Mann aus dem fernen Indien. Drei bis vier Mal jährlich geht eine Briefsendung tausende Kilometer auf die Reise nach Südasien. Die ersten Jahre hätten sie sehr viel geschrieben, bevor die indische Post unzuverlässig geworden sei, schreibt Claudia Hollenhorst. Telefonieren könnten sie nicht, da sie seinen Akzent nicht verstehe. Dann doch lieber einen geschriebenen Brief auf Englisch. Oft gehe es darin um Gott und die Welt oder die verschiedenen Lebensweisen. Den Kontakt zu ihrem indischen Brieffreund, der in Ghaziabad (Uttar Pradesh) lebt, vermittelte ihr eine damaligen Klassenkameradin, die ebenfalls eine indische Brieffreundschaft pflegte.

Aber die Digitalisierung macht um Claudia Hollenhorst keinen Bogen. Mittlerweile nutzt sie Whatsapp für kurze Grüße oder ein schnelles Foto an Freunde. Ihre Freunde in Indien und Frankreich nutzen aber kein Internet und so bleibt die Briefpost weiterhin fester Bestandteil ihrer Freundschaft.

„Für einen Brief muss man sich sehr viel Mühe geben und es ist ein schönes Gefühl, einen handgeschriebenen oder schön gestalteten Brief in den Händen zu halten", beschreibt Claudia Hollenhorst ihre Leidenschaft für den Brief. Sie ist überzeugt, dass es in Zukunft weiterhin eifrige Briefeschreiber geben wird. Bei ihren ehemaligen Schülern hingegen gibt es mittlerweile weniger Interesse an einer Brieffreundschaft als während ihrer eigenen Schulzeit. Meistens seien es Erwachsene, die noch eine Freundschaft per Brief suchen.

Dieser Beitrag entstand hauptsächlich über Kontakt via E-Mail und Whatsapp.