1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Lebensraum Industriebrache

EIL

Naturschutz Lebensraum Industriebrache

Beim „Geo-Tag der Natur“ Mitte Juni schauen Experten diesmal auf die „Stadtnatur“, die im Ruhrgebiet oft „Industrienatur“ ist.

Von Helge Toben 12.06.2017, 23:01

Essen (dpa) l Behutsam hebt Nora Scholpp den kohlenstaubgeschwärzten Felsbrocken an – und wird fündig: Ein Bergmolch hat sich dort verkrochen. Eigentlich ist das Tier ein „typischer Bewohner gewässerreicher Wälder der Mittelgebirgszone“, sagt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Doch dieses Exemplar hat sich eine exotischere Umgebung ausgesucht: Eine alte, längst bewachsene Abraumhalde im Schatten der einst größten Kohlenzeche Europas, der Zeche Zollverein in Essen, mitten im Ruhrgebiet.

Genau der passende Ort für die Zentralveranstaltung des „Geo-Tags der Natur“ am kommenden Wochenende, fanden die Veranstalter Nabu und ein gemeinnütziger Verein, der dem Magazin „Geo“ nahesteht. Das Motto lautet in diesem Jahr „Stadtnatur – Wie grün sind unsere Städte & Gemeinden?“. Essen ist in diesem Jahr ohnehin die „Grüne Hauptstadt Europas“.

Forscher und Naturliebhaber wollen bei dem bundesweiten Aktionstag diesmal vor allem dokumentieren, welche Tier- und Pflanzenarten in Städten und Gemeinden leben und wachsen. Für Josef Tumbrinck, den Vorsitzenden des Nabu Nordrhein-Westfalen, steht schon jetzt fest, dass den Industriebrachen des Ruhrgebiets eine bedeutende Rolle für die „Artenvielfalt in städtischen Räumen“ zukommt.

Das Zollverein-Areal ist 100 Hektar groß und somit größer als die Essener Innenstadt und insgesamt eines der größten Industriedenkmäler überhaupt. „Es geht darum: Nur was man kennt, schützt man auch“, sagt Geologin Nora Scholpp vom Nabu NRW. Sie zeigt auf ein paar unscheinbare Tümpel an der riesigen Koksofenanlage. „Dies ist die Rennbahn der Fledermäuse“, erklärt sie. Über dem Wasser schwirrten oft viele Mücken und Insekten – in den Abendstunden Nahrung für die Fledertiere. „Hier leben mindestens zwei Arten: die Zwergfledermaus und der Große Abendsegler.“

An dem Wochenende gibt es ein Familienprogramm. Zudem wollen Forscher die Flora und Fauna auf Zollverein genau unter die Lupe nehmen. Und das ist wörtlich gemeint. 24 Stunden lang werden Experten etwa nach Flechten, Pilzen, Käfern, Schnecken, Wanzen, Spinnen und Vögeln Ausschau halten und sie dokumentieren. Beobachten wollen sie auch nachts, wenn die Nachtfalter unterwegs sind, und frühmorgens, wenn die frühen Vögel ihre Würmer fangen. „Auf Zollverein leben viele Rote Liste-Arten“, sagt Scholpp, etwas die Kreuzkröte.

„Oder die Blauflügelige Ödlandschrecke. Sie galten in NRW lange als ausgestorben, bis sie auf Industriebrachen neuen Lebensraum fanden“, sagt Scholpp. Auch Schleiereule oder Turmfalke leben auf dem Areal, Gebäudebrüter, die in den stillgelegten Anlagen gute Bedingungen für sich und ihren Nachwuchs gefunden haben.

Längst haben sich in den stillgelegten Bereichen der Zeche Büsche und Bäume ausgebreitet, etwa Birken und Robinien. Dazwischen wachsen Nachtkerzen und Schmetterlingsflieder. „Eine beliebte Futterpflanze für viele Falterarten“, sagt Scholpp. Darunter ist auch der seltene Faulbaum-Bläuling, eine Schmetterlingsart, die durch ihre blauen Flügel ins Auge sticht.