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Evolution Stammt der Mensch doch aus Europa?

Dass sich die der erste Vormensch nicht in Afrika, sondern möglicherweise in Europa entwickelte, wird derzeit in Tübingen erforscht.

Von Anja Garms 22.05.2017, 23:01

Tübingen (dpa) l Die Abstammungslinien von Schimpansen und Menschen trennten sich möglicherweise in Europa – und nicht wie vielfach angenommen in Afrika. Diese Idee stellt ein Forscherteam um Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Paleoenvironment (HEP) in Tübingen im Fachmagazin „PLOS One“ vor. Zudem habe sich dieser Evolutionsschritt möglicherweise einige Hunderttausend Jahre früher ereignet als bisher angenommen. Die Wissenschaftler hatten zwei Fossilfunde neu untersucht und die damaligen Umweltbedingungen an den Fundorten charakterisiert.

Wann und wo sich die ersten Vormenschen entwickelten, ist bislang nicht abschließend geklärt. Der Schimpanse ist heute der nächste Verwandte des Menschen. Viele Experten gehen davon aus, dass sich die Entwicklungslinien der Schimpansenvorfahren und der menschlichen Linie vor etwa fünf bis sieben Millionen Jahren in Afrika trennten.

Das Team um Böhme untersuchte nun die beiden einzigen Funde des Hominiden Graecopithecus freybergi, der bei den Forschern den Spitznamen „El Graeco“ trägt. Zu den Hominiden gehören der Mensch samt seiner ausgestorbenen Verwandten und die Menschenaffen. Es handelt sich bei den Fossilien um einen in Griechenland gefundenen Unterkiefer und einen Zahn aus Bulgarien.

Detaillierte Untersuchungen lassen die Forscher nun vermuten, dass es sich bei Graecopithecus um eine bislang unbekannte Vormenschenart handelt. So seien die Zahnwurzeln weitgehend verschmolzen gewesen – ein charakteristisches Merkmal des Menschen und seiner ausgestorbenen Verwandten. Bei Menschenaffen liegen die Zahnwurzeln üblicherweise getrennt vor. „Wir waren von unseren Ergebnissen selbst überrascht, denn bislang waren Vormenschen ausschließlich aus Afrika südlich der Sahara bekannt“, sagte Jochen Fuss, einer der beteiligten Wissenschaftler.

Über Analysen der Sedimente, aus denen die Fossilien geborgen worden waren, datierten die Forscher den Unterkiefer auf ein Alter von 7,175 Millionen Jahren, den Zahn auf 7,24 Millionen Jahre. Die Funde seien damit älter als der bisher älteste aus Afrika bekannte Vormensch Sahelanthropus mit einem Alter von sechs bis sieben Millionen Jahren. Daraus folgern die Forscher, dass die Abspaltung der Entwicklungslinien von Vormenschen und Schimpansen womöglich früher und nicht in Afrika, sondern im östlichen Mittelmeerraum stattfand.

Die „East Side Story“, wonach der Vormensch in Ostafrika entstanden ist, werde nun durch die europäische „North Side Story“ in Frage gestellt, so Böhme. „Ich erwarte heftige Reaktionen“, sagte sie. Ihre These will sie weiter untermauern und kündigt Analysen zur Ernährung von „El Graeco“ an.

Wie die Vormenschen ausgesehen haben und ob sie bereits aufrecht gegangen sind, wisse man nicht, sagte Böhme. Anhand der Kiefergröße sei davon auszugehen, dass „El Graeco“ etwa 40 Kilo gewogen habe und so groß gewesen sei wie ein heutiges Schimpansenweibchen.