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Umwelt Ozeane unter Dauerstress

Der Ozean bedeckt 71 Prozent der Erde. Er dämpft die Klimaerwärmung. Ein Zustandsbericht zeigt viele Dinge, die im Argen liegen.

10.05.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Meeresschildkröten: minus 96 Prozent. Rifffische: minus 89 Prozent. Haie: minus 87 Prozent. So stark haben sich die Populationen jeweils verringert, im Vergleich zu historischen Quellen. Im Meer war mal mehr Leben, berichtete der Sprecher des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“, Martin Visbeck vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, in Berlin.

Die stark dezimierten Meeresbewohner sind nur ein Aspekt, von dem Kieler Meereswissenschaftler im ersten „Meeresatlas“ der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung berichten. Die Bilanz: Die Weltmeere stehen unter wachsendem Druck, und die Probleme sind menschengemacht. Eine Auswahl:

Meerespiegel: Er steigt und steigt – seit dem Jahr 1900 waren es im weltweiten Mittel 20 Zentimeter. Verursacht wird das einerseits durch schmelzendes Eis auf den Kontinenten, anderseits durch sich ausdehnendes Wasser im Zuge der Klimaerwärmung. Für die Zukunft wird ein weiterer Anstieg von etwa drei Millimetern im Jahr erwartet. Wie sich das regional auswirken wird, sei noch nicht abzusehen, berichten die Forscher.

Visbeck warnt: „Man sollte sich nicht sicher wähnen, dass schon nichts passieren wird.“ Klar ist aber: Reiche Staaten wie die Niederlande dürften eher vorsorgen können als arme wie Bangladesch.

Fischerei: Die Weltbevölkerung wächst weiter – mehr Nahrung aus dem Meer wird sie aber kaum holen können: Knapp ein Drittel der weltweiten Fischbestände gelten laut Atlas bereits als überfischt oder gar zusammengebrochen. 58 Prozent der Bestände seien maximal ausgenutzt. Auch illegale Fischerei wird als Riesenproblem gesehen. Fisch aus Fischfarmen ist für die Forscher keine Lösung, ihr Fazit lautet: Der Hunger nach billigem Fisch muss kleiner werden.

Plastik: Fisch raus, Müll rein: Etwa acht Millionen Tonnen Plastik landen jährlich im Meer, zumeist aus Flüssen. Fast der gesamte Plastikmüll sinkt dem Bericht zufolge auf den Tiefseeboden ab, zerrieben zu Mini-Partikeln. Aus Mikroplastik bilde sich dort eine neue geologische Schicht, in der sich Schadstoffe anlagern können.

Fische verwechseln die Stückchen mit Plankton, so landet der Müll wieder beim Menschen auf dem Teller. Nur ein Prozent des Plastiks ist an der Wasseroberfläche zu finden, etwa in Strudeln.

Todeszonen: So werden sauerstoffarme Zonen genannt, wo kaum mehr etwas oder nichts mehr lebt – weder Fische noch Muscheln noch Seegras. Diese Gebiete lägen oftmals in Flussmündungsgebieten, heißt es im Atlas. Das ist kein Zufall: Abwässer, die etwa große Mengen von Kunstdünger und Gülle aus der Landwirtschaft enthalten, lassen das Meer umkippen. Eine große Todeszone liege im Golf von Mexiko vor dem Missisippi-Delta, aber auch in der Ostsee sei der Sauerstoffgehalt seit Jahrzehnten stark rückläufig.

Säure: Heute versauern die Ozeane in „einer erdhistorisch wohl einmaligen Geschwindigkeit“, heißt es. Die Meere hätten etwa ein Drittel des Kohlenstoffdioxids aufgenommen, das die Menschen seit der Industrialisierung in die Atmosphäre abgegeben haben. Die Auswirkungen sind noch nicht vorzusehen. 

Bergbau in der Tiefsee beginnt in den nächsten Jahren. Dort schlummern etwa Mangan, Nickel, Thallium und Kobalt in größeren Vorkommen als an Land – und aus wissenschaftlicher Sicht eine Menge Risiken. So weit unter Wasser geschieht alles sehr, sehr langsam. „Ökologinnen und Ökologen warnen daher: Was hier zerstört wird, regeneriert sich lange nicht“, steht im Atlas. Visbeck sagte, er sehe keinen Grund für ein Einsteigen in den Tiefseebergbau. Es seien keine hohen Erträge zu erwarten, dafür aber erheblichen Schäden. Dennoch stehe etwa China in den Startlöchern. Ein Moratorium sei von Nöten, betonte Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

Schutz: Als am wenigsten geschützte Gebiete der Welt bezeichnete Unmüßig die Meere. Der Schutz sei zerstückelt, mit unzähligen Regulierungslücken. Nur 1,6 Prozent der Flächen sind streng oder voll geschützt. Nach Forderungen von Umweltschützern und Wissenschaftlern sollten 20 bis 50 Prozent unter Schutz gestellt werden, damit sich die Gebiete wieder erholen können.