Teil-Krankenschein Nur ein bisschen krank

Krankengeld in Rekordhöhe - und nichts scheint dagegen zu helfen. Experten regen nun mehr Flexibilität bei Krankschreibungen an.

13.12.2015, 23:01

Berlin (dpa/epd/ag) | Gesundheitsexperten regen die Einführung eines Teil-Krankengeldes und damit eines Teil-Krankenscheins an. Grund: Das Krankengeld als Lohnersatzzahlung kommt die Krankenkassen in Deutschland immer teurer zu stehen. Sachverständigen zufolge stiegen die Kosten seit dem Jahr 2006 stark von damals 5,7 auf 10,6 Milliarden Euro im Jahr 2014 an. Davon entfielen 10,4 Milliarden Euro auf die Zahlung von Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit, der Rest entfiel auf das Kinderkrankengeld.

Das Teil-Krankengeld ermögliche erkrankten Arbeitnehmern entsprechend ihrem Gesundheitszustand in Teilen weiter ihrer Arbeit nachzugehen, wenn es sinnvoll sei, sagte kürzlich Ferdinand Gerlach in Berlin. Er ist der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Sein Gremium stellte Empfehlungen zur Zukunft des Krankengeldes vor.

Und so könnte das Modell funktionieren: Patient und Arzt einigen sich darauf, dass der Betroffene zum Beispiel zu 75 Prozent krank und zu 25 Prozent gesund ist. Er würde also noch zu 25 Prozent arbeiten und einen entsprechenden Anteil des Lohns bekommen – der Rest käme von der Krankenkasse.

Ein praktisches Beispiel: Ein Patient bricht sich ein Bein. Als Verkäufer könnte er damit nicht acht Stunden am Stück in einem Geschäft stehen. Doch ein paar Stunden Schreibtischarbeit und Telefondienst am Tag würden funktionieren. Warum also sollte er nicht trotz Gips arbeiten gehen, zumindest teilweise?

Teil-Krankschreibung und Teil-Krankengeld gebe es bereits in skandinavischen Ländern, erläuterte Gerlach. Bislang gibt es für Langzeiterkrankte in Deutschland nach frühestens sechs Wochen die Möglichkeit eines stufenweisen Jobeinstiegs über das sogenannte Hamburger Modell. Davor gelte die Regel "entweder 100 Prozent krank oder 100 Prozent arbeitsfähig", sagte Gerlach. Die Teilregelung solle dagegen bereits vom ersten Krankheitstag an gelten und ermögliche damit mehr Flexibilität, erläuterte Gerlach.

Die Kassen könnten nach dem Vorschlag auch sparen, weil anders als im Hamburger Modell nicht sie allein für den Lohnersatz beansprucht werden sollen, sondern auch der Arbeitgeber in der Höhe des Arbeitseinsatzes ein reduziertes Gehalt weiter zahlen soll. Arbeitet ein teil-krankgeschriebener Mitarbeiter beispielweise 50 Prozent, soll der Arbeitgeber entsprechend die Hälfte des Entgelts zahlen.

Die Gründe für den Kostenanstieg beim Krankengeld sind unter anderem die höhere Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und die höheren durchschnittlichen Einkommen, mit denen auch das Krankengeld steigt. Es beträgt 70 Prozent des Bruttogehalts. Im Zuge der Anhebung des Rentenalters wirkt sich auch die höhere Zahl älterer Arbeitnehmer auf die Krankengeld-Kosten aus.

Neben dem Vorschlag für ein "Teil-Krank-Sein" fordert der Sachverständigenrat auch Maßnahmen zur schnelleren Versorgung vor allem psychisch Kranker. Diese müssen oft lange auf einen Therapie-Termin warten. Die Experten schlagen außerdem vor, das Krankengeld zu streichen, wenn Versicherte der Aufforderung der Kasse, eine Alters- oder Erwerbsminderungsrente zu beantragen, nicht nachkommen, auch wenn die Voraussetzungen dafür bestehen. Bislang ist das nur möglich, wenn Reha-Leistungen nicht beantragt werden.

Gerlach sagte, es gehe nicht darum, Kranke in die Rente zu drängen. Die Vorschläge des Sachverständigenrats zielten nicht vorrangig auf Einsparmöglichkeiten, immerhin sei das Krankengeld keine sozialpolitische Wohltat, sondern ein Anrecht.

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmenk warnte, die Empfehlungen dürften nicht dazu führen, dass auf Patienten mehr Druck ausgeübt werde. Sie forderte vielmehr, den Fokus auf die langen Wartezeiten bei psychischen Erkrankungen zu lenken, die mit Schuld an langen Ausfällen und damit Krankengeld-Zahlungen sind.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der das von seinem Haus beauftragte Gutachten in Empfang nahm, kommentierte die Vorschläge zunächst zurückhaltend. Das Gutachten gebe wichtige Anstöße und sei eine gute Diskussionsgrundlage, sagte er. Die konkreten Vorschläge – beispielweise zum Teil-Krankengeld - bewertete er zunächst nicht.