1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Ruhezone in der digitalen Welt

Innenstädte Ruhezone in der digitalen Welt

Die Digitalisierung verändert das Einkaufsverhalten. Innenstädte müssen sich neu erfinden, um für die Menschen attraktiv zu bleiben.

08.03.2016, 23:01

Magdeburg l Wolfgang Christ erinnert sich noch sehr genau an das, was seine Oma immer sagte: „Komm, wir gehen in die Stadt. Da erleben wir was.“ Noch im vergangenen Jahrzehnt sei so die Lebenswirklichkeit vieler Menschen gewesen. „Vor Internet und Smartphone war die Stadt der Inbegriff für Exklusivität und Zentralität“, erklärt Wolfgang Christ, der bis 2013 als Professor für Städtebau an der Bauhaus-Universität Weimar lehrte, am Dienstag im Tagungszentrum der Industrie- und Handelskammer Magdeburg beim 3. Stadtmarketing-Forum Ost.

Der Einzelhandel hat in der Vergangenheit von der Bedeutung der Städte profitiert. Doch der digitale Wandel wird für viele Händler zur Frage des Überlebens. Wenn Wolfgang Christ heute als Stadtplaner durch Innenstädte streift, erlebt er teilweise verlassene Fußgängerzonen und verwaiste Cafés. Die Digitalisierung hat die Art verändert, wie Menschen an das Thema Einkaufen herangehen: Seit Jahren wächst der Umsatz im Online-Handel. Mit 40 Milliarden Euro im Jahr macht er etwa zehn Prozent des Handelsumsatzes in Deutschland aus – Tendenz steigend. Online einkaufen ist bequem, Online-Shops haben keine begrenzten Öffnungszeiten, sind serviceorientiert und haben ein fast grenzenloses Angebot. Christ sagt: „Entweder die Fußgängerzone schafft den Neustart oder sie ist Geschichte. Die Innenstädte gehen vor der Digitalisierung häufig in die Knie.“ Zu Unrecht, findet Christ, denn auch für den Einzelhandel in der Stadt gibt es erfolgversprechende Perspektiven.

Der analoge Lebensstil ist in der digitalisierten Welt auf dem Vormarsch, glaubt Christ. „In den USA gibt es Cafés, die damit werben kein W-Lan zu haben“, sagt der Stadtforscher. Die Folge seien gestiegene Umsätze beim Kaffee-Verkauf. Der Einzelhandel wird künftig nur dann Erfolg haben, wenn er Qualitäten anbietet, die nicht digitalisierbar sind: Atmosphäre, Authentizität, Aura.

Städte leben von ihren Alleinstellungsmerkmalen. „Die Aufgabe der Stadtplaner ist es, Orte und Geschichten zu identifizieren und mit ihnen die Städte und Fußgängerzonen einzigartig zu machen“, erklärt Christ. Die Unverwechselbarkeit einer Stadt spiegelt sich in ihrer Architektur und im Städtebau. Im digitalen Zeitalter wird die Stadt zudem ein Ort der Entspannung. Bänke, Plätze und Bäume laden zum Verweilen ein. „Je stärker wir uns in der digitalen Welt bewegen, desto größer wird das Bedürfnis nach solchen Orten,“ sagt Christ.

Die Einzelhändler sind im Wettbewerb mit der digitalen Welt aber nicht auf sich allein gestellt. Touristische Ziele sind ein wichtiger Image-Träger für die Regionen und locken Kunden für den Einzelhandel an. „Gut organisiert kann der Tourismus ein Frequenzbringer für den Einzelhandel sein“, sagt Jürgen Schmude, der an der Universität München Tourismuswirtschaft lehrt. Wenn es Hotels, Gaststätten und Ausflugszielen gutgeht, profitiert auch der Einzelhandel, sagt er.

Schmude weiter: „Der Erfolg von Touristikern wird immer nur an der Anzahl der Übernachtungen gemessen. Studien belegen aber, dass der Umsatz von Tagestouristen in etwa ein gleichwertiges ökonomisches Gewicht hat.“