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Feiertagsarbeit Arbeiten, wenn andere feiern

Sie sind im Dienst, wenn andere Menschen Weihnachten feiern: Straßenbahnfahrer, Krankenschwestern und Mitarbeiter der Stadtwerke.

23.12.2016, 23:01

Magdeburg l Am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag ist in der Notaufnahme der Universitätsklinik Magdeburg sogar mehr los als sonst. „Weil viele Hausärzte pausieren, kommen die Patienten zu uns“, erzählt Krankenschwester Beatrice Fuhrmann. Die 45 Jahre alte Mutter eines Sohnes arbeitet seit 23 Jahren in der Notaufnahme. Mit ihre Kollegen teilt sie sich die Wochenend- und Feiertagsarbeit auf. Dennoch: Jedes Jahr arbeitet Beatrice Fuhrmann entweder Weihnachten oder Silvester und Neujahr. Nur in dem Jahr als ihr Sohn geboren wurde, hatte die Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt mal frei.

In Deutschland muss nach einer Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin etwa ein Viertel der Beschäftigten regelmäßig am Wochenende und an Feiertagen arbeiten. Jede dritte Familie ist von Sonntagsarbeit betroffen, hat eine Studie der Gewerkschaft Verdi herausgefunden. Friedhelm Nachreiner erforscht seit mehr als drei Jahrzehnten die Auswirkungen von Wochenend- und Feiertagsarbeit auf Beschäftigte. Er sagt: „Immer mehr Menschen müssen an diesen Tagen regelmäßig Dienst tun.“

Die Weihnachtsfeiertage wird Bernd Reppin in diesem Jahr in einer Straßenbahn verbringen. Seit 1986 steuert der Mann mit der dicken Brillen die mächtigen Kolosse durch die Straßen von Magdeburg. Etwa drei Feiertage im Jahr muss der 51 Jahre alte Lokalpolitiker arbeiten. „Die Familienfeiern richten sich nach meinem Dienstplan“, erklärt der Mitarbeiter der Magdeburger Verkehrsbetriebe. Die Tage nach dem Heiligen Abend gehören für Reppin aber zu den entspannteren. „Die Menschen sind ein bisschen gelassener. Die große Einkaufs-Hektik ist weg“, sagt Reppin.

Der Forscher Friedhelm Nachreiner sieht regelmäßige Arbeit an Feiertagen und am Wochenende kritisch. Deutschlandweit würde die Belastung für die Beschäftigten zunehmen. Häufig begründeten die Unternehmen die atypischen Arbeitszeiten mit wirtschaftlichen Gegebenheiten, sagt Nachreiner, der 1986 gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern die Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung gegründet hat. „Regelmäßige Arbeit an Sonn- und Feiertagen führt zur völligen Desynchronisation mit dem Leben der Familie und anderen sozialen Partnern“, sagt Nachreiner. Es helfe nicht, dass die Arbeitnehmer an anderen Tagen der Woche frei hätten, weil sie dann nur selten Zeit mit ihren Lieben verbringen könnten, so Nachreiner.

„Es ist schon traurig“, sagt Beatrice Fuhrmann. Während ihre Familie unter dem Baum sitzt, nimmt die Krankenschwester Patienten Blut ab, verabreicht Medikamente oder bereitet Operationen vor. „Weihnachten ist in meinem Herzen, während ich arbeite“, sagt Fuhrmann.

Torsten Streblow sitzt an diesem Heiligen Abend vor sechs Bildschirmen. In der Netzleitstelle für Gas, Trinkwasser, Abwasser und Wärme der Stadtwerke ist er für die Magdeburger Bevölkerung an den Festtagen der Helfer in der Not. Ist die Heizung aus oder das Wasser nicht warm, klingelt bei dem 49 Jahre alten Energie-Experten das Telefon. Torsten Streblow leitet dann die Schritte ein, um die Probleme schnell zu beheben. „Manchmal rufen Menschen aber auch an, weil sie einfach mal reden wollen“, erzählt Streblow.

Die Arbeit von Straßenbahnfahrern, Krankenschwestern und Stadtwerke-Mitarbeitern zählt in Deutschland zur sogenannten Daseinsvorsorge. Um die öffentliche Grundversorgung zu gewährleisten, müssen die Mitarbeiter deswegen auch an Feiertagen arbeiten. Friedhelm Nachreiner erkennt die Leistung dieser Menschen für die Gesellschaft an. „Aber Arbeit an Sonn- und Feiertagen muss eine Ausnahme bleiben“, sagt Nachreiner. Menschen, die sonntags arbeiten, kämen nicht in die gleichen Erholungsprozesse wie normal arbeitende Beschäftigte.

Forscher wie Nachreiner fordern deswegen schon lange zwei freie Tage für einen Tag Arbeit am Sonn- oder Feiertag. Doch dieser Wunsch wird wohl auch zum Weihnachtsfest nicht in Erfüllung gehen.