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Abgasskandal Klagen gegen Volkswagen sind Herausforderung

Münchner Rechtsexperte erklärt im Volksstimme-Interview die Erfolgsaussichten von Aktionärsklagen gegen Volkswagen.

11.08.2016, 23:01

Wolfsburg l Nach dem Abgasskandal fordern Aktionäre von Volkswagen Schadenersatz für erlittene Kursverluste. Sie werfen dem Konzern vor, nicht rechtzeitig über die Manipulationen informiert zu haben. Der Autobauer widerspricht, die Ad-hoc Mitteilung sei, als die US-Behörden an die Öffentlichkeit gingen, rechtzeitig verschickt worden. Im Volksstimme-Interview erläutert der Münchner Rechtsexperte Henrik Humrich die Erfolgsaussichten der Kläger. Er hält einerseits die Verteidigungs-Strategie des Autobauers für schlüssig, räumt aber auch den Aktionären Chancen ein.

Herr Humrich, an den Börsen geht es mal auf, mal ab. Warum haben Aktionäre überhaupt die Möglichkeit, Unternehmen wegen erlittener Kursverluste zu verklagen – jeder weiß doch, dass der Handel mit Aktien Risiken birgt?

Henrik Humrich: Eine Klagemöglichkeit für Aktionäre kann dann bestehen, wenn ein börsennotiertes Unternehmen seine Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen im Wege der Ad-hoc Mitteilung verletzt hat. Insiderinformationen sind verkürzt ausgedrückt solche Informationen, die nicht öffentlich bekannt und geeignet sind, einen Börsenkurs erheblich zu beeinflussen – sowohl positiv als auch negativ. Wer diese Informationen vor anderen hat, könnte sie dazu nutzen, Aktien früher zu kaufen oder zu verkaufen als andere, und sich damit einen finanziellen Vorteil verschaffen.

Insiderinformationen können beispielsweise auf einem Unglück, wie einem Fabrikbrand, einer schlechten geschäftlichen Entwicklung oder einer personellen Änderung im Vorstand beruhen. Der Insiderhandel ist streng verboten, insbesondere weil sich sonst andere Anleger, die keinen Zugang zu Insiderinformationen haben, von diesem Kapitalmarkt gegebenenfalls zurückziehen würden. Wenn ein Unternehmen über eine Insiderinformation verfügt, dann muss es diese unverzüglich veröffentlichen, um Transparenz zu schaffen, wodurch Insiderhandel verhindert wird.

Seit 2002 besteht nun eine Schadenersatzpflicht des Unternehmens, wenn die Veröffentlichung einer Insiderinformation unterlassen worden ist. Genau in dem Bereich bewegen wir uns jetzt im Fall von Volkswagen. Manche Aktionäre argumentieren, dass dem Konzern schon länger bekannt gewesen sei, dass Manipulationssoftware eingesetzt wurde. Und da dieser Sachverhalt mit Blick auf mögliche Geldstrafen und Schadenersatzklagen von Kunden geeignet gewesen sei, den Aktienkurs erheblich zu beeinflussen, hätte der Konzern nach Ansicht dieser Aktionäre darüber schon früher informieren müssen.

VW hält die Vorwürfe, nicht rechtzeitig informiert zu haben, für unbegründet. Zwar seien die Diesel-Manipulationen früher bekannt gewesen, doch man sei lange davon ausgegangen, dass der finanzielle Schaden nicht so hoch ausfallen würde, dass er für den Aktienkurs relevant werden könnte. Erst als die US-Behörden an die Öffentlichkeit gingen, sei die Kursrelevanz entstanden und erkannt worden. Wie bewerten Sie die Argumentation?

Das ist auf jeden Fall eine schlüssige Argumentation. Denn es liegt nur eine zu veröffentlichende Insiderinformation vor, wenn die Information Kursbeeinflussungspotential hat. Und bei einem geringen finanziellen Risiko, erscheint es als unwahrscheinlich, dass die Märkte reagiert hätten. Nun gibt es die Haftung wegen unterlassener Ad-hoc Mitteilung noch nicht sonderlich lange. Es gibt weder viel Rechtsprechung, noch viel Literatur in dem Bereich. Eine der interessanten Fragen ist daher auch, unter welchen Umständen Unternehmen für nicht veröffentlichte Compliance-Verstöße haften müssen. Insoweit kann im Übrigen für die betroffenen Vorstandsmitglieder ein persönliches Dilemma bestehen. Soweit nämlich Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern im Raum stehen, haben diese auf der einen Seite auch wegen eigener Haftungsrisiken unter Umständen ein Interesse daran, dass bestimmte Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Auf der anderen Seite sind sie verpflichtet, diese Umstände im Wege der Ad-hoc Mitteilung zu veröffentlichen, soweit es sich um Insider-Informationen handelt.

Wenn das Schadenersatz-Recht noch nicht in allen Details ausgestaltet wurde – kann ein Richter dann überhaupt nach klaren juristischen Maßstäben entscheiden, ob sich VW etwas zu Schulden kommen lassen hat? Oder hat er Ermessensspielräume?

Ein Richter kann und muss diese Fragen letztlich beantworten. Hierbei ist insbesondere von entscheidender Bedeutung, ob überhaupt eine Insiderinformation vorlag. Und wenn ja, ab wann lag sie vor. Denn der Zeitpunkt ist für das Bestehen und den Umfang von Schadenersatzansprüchen von Bedeutung. Für die Berechnung eines etwaigen Kursdifferenzschadens muss der Richter beurteilen, was geschehen wäre, wenn die Manipulationen bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt geworden wären. Dies zu beurteilen, ist ausgesprochen schwierig. Da bestehen aber auf Seiten des Richters reduzierte Anforderungen an die Überzeugungsbildung.

Wie groß sind insofern die Erfolgschancen für klagende Aktionäre?

Das kann ich im Fall Volkswagen nicht beurteilen. Allgemein besteht für Kläger die erste Hürde schon darin, dass sie die Insiderinformation vortragen und beweisen müssen. Und das kann eine echte Herausforderung sein, weil sie grundsätzlich keinen Zugang zu internen Informationen des Unternehmens haben.

Besonders groß sind die Erfolgschancen also nicht?

Das ist natürlich in jedem Fall gesondert zu beurteilen. In dem Fall von Volkswagen besteht wohl die Besonderheit, dass viele Informationen ja durch Ermittlungen bereits das Licht der Welt erblickt haben. Das kann es für Kläger etwas einfacher machen.

Je mehr Informationen die Aktionäre also im Nachgang bekommen, desto stärker steigen ihre Chancen auf Erfolg.

Ja. Je mehr sie haben, umso günstiger ist es für sie.

Nun gibt es Aktionäre, die seit Jahren VW-Aktien besitzen und andere, die kurzfristig an- und verkaufen. Lohnt sich jetzt für alle Anleger eine Klage?

Aktionäre haben ja nur dann einen Ersatzanspruch wegen unterlassener Ad-hoc Mitteilung, wenn sie einen Schaden dadurch erlitten haben, dass Informationen zum Abgas-Skandal zu spät veröffentlicht worden sind. Anspruchsberechtigt können insofern nur jene Aktionäre sein, die ihre Aktien zu einem Zeitpunkt gekauft haben, zu dem VW einer Mitteilungspflicht wegen der Manipulationssoftware unterlag und noch nicht erfüllt hatte. Und die beim tatsächlichen Bekanntwerden des VW-Skandals ihre Aktien dann noch hielten. Das heißt, dass Aktionäre, die die Aktien schon vor der Zeit der Manipulationen erworben hatten, grundsätzlich nicht wegen unterlassener Ad-hoc Mitteilung anspruchsberechtigt sein können. Es ist insofern nur ein bestimmter Kreis von Aktionären, der Ansprüche haben könnte. Und wie groß dieser Kreis ist, wird davon abhängen, ob und seit wann bei VW die angebliche Insiderinformation bestand.

Für den Fall, dass Anleger entschädigt werden müssen – bekommen Anleger den gesamten Schaden durch Kursverluste ersetzt?

Im Zweifelsfall müssten sie den Kursdifferenzschaden ersetzt bekommen. Dieser bemisst sich danach, wie hoch der Kurs der Aktie beim Erwerb hypothetisch gewesen wäre, wenn VW die angebliche Insiderinformation rechtzeitig veröffentlicht hätte. Hierbei handelt es sich um eine schwierige Frage, die nicht ganz präzise beantwortet werden kann. Zudem könnte unter weiteren Voraussetzungen aber auch der gesamte Kauf der Aktie rückabgewickelt werden.

Wie lange werden sich die Gerichte mit VW noch beschäftigen?

Das kann ich nicht genau einschätzen. Aber sicher ist: Der Fall Volkswagen wird die Gerichte wohl aller Instanzen in Deutschland noch viele, viele Jahre beschäftigen.