Arbeit Die Firmen-Urgesteine

Menschen, die lange bei einer Firma arbeiten, scheint es kaum mehr zu geben. Doch es gibt sie noch, die Urgesteine.

01.09.2016, 23:01

Magdeburg/Berlin (ba/dpa) l Der Magdeburger Dom ist das Lebensprojekt von Peter Beneke. „Ich kenne jeden Stein“, sagt der Steinmetz. Mehr als 28 Jahre lang restaurierte er die gotische Kathedrale. „Das hätte ich bei anderen Unternehmen nicht machen können“, sagt der 55-Jährige heute.

1977 beginnt Peter Beneke eine Ausbildung als Steinmetz bei der VEB Denkmalpflege in Magdeburg. In seinem Ausbildungs-Jahrgang lernt auch sein heutiger Chef. Nach der Wende wird aus dem VEB wieder ein Familienbetrieb. Die Paul Schuster GmbH wird die neue Heimat von Peter Beneke. Seit nunmehr 39 Jahren arbeitet er für die Familie Schuster. Die Restauration des Doms ist abgeschlossen. Beneke arbeitet längst an anderen Projekten. Derzeit baut er das alte Katharinentor im Breiten Weg der Landeshauptstadt wieder auf.

Die Zeiten waren noch andere, als Bernd Blank bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) anheuerte. Vor der Wohnung seiner Mutter in Schöneberg sah er an der Litfaßsäule eine Werbung der BVG. „Kollege gesucht!“, stand da. Blank machte sich auf den Weg zu der angegebenen Adresse. Er kam zu Tür herein und fragte den Pförtner direkt: „Wo kann ick hier anfangen?“ Wenig später, nach einem 14-tägigen Lehrgang, saß er am Schalter im U-Bahnhof Wittenbergplatz und verkaufte Fahrkarten. Das war im Dezember 1972. Blank war damals 18 Jahre alt.

Nur Wochen später folgte der nächste Lehrgang zum Zugabfertiger. Fortan war der Bahnsteig sein Arbeitsplatz. Er sagte einfahrende Züge an, schloss die Türen des Zugs, wenn dieser bereit zur Abfahrt war. Im Sommer 1975, mit 21 Jahren, war Blank bereit für den nächsten Schritt. Er hatte das Mindestalter für Zugführer erreicht und absolvierte drei Monate lang die entsprechende Ausbildung. Seitdem sitzt er am Steuer von U-Bahnen und fährt durch den Untergrund der Hauptstadt. Seine Stammlinie ist seit 1991 die U6 zwischen Tegel und Mariendorf.

Ilona Becker ist in ihre Arbeit hineingewachsen. Verkäuferin, das sei nicht gerade ihr Traumjob gewesen, gibt sie zu. Aber im Hunsrück, wo Becker herstammt, gab es damals, Ende der 70er Jahre, nicht allzu viel Auswahl auf dem Ausbildungsmarkt. Sie machte die Lehre bei Rewe. Bis Ende der 80er Jahre arbeitete sie dann als Verkäuferin – bis sie ihren Lebensgefährten kennenlernte.

Der folgende Umzug nach Koblenz brachte den ersten Abteilungswechsel: Vier Jahre in der Großhandlung folgten. Eine Umstrukturierung im Unternehmen ließ sie dann in die Verwaltung wechseln, nach Hürth, in der Nähe von Köln. Dort arbeitete sie rund zehn Jahre als Sachbearbeiterin in der Logistik. Seit 2003 ist sie in der Personalabteilung.

In ihren fast 40 Jahren bei Rewe hat sie immer wieder neue Aufgabenbereiche gehabt: Jene Abwechslung sei sicher ein Grund, dass sie nie die Firma gewechselt habe, sagt sie. „Ein bisschen sind die Wechsel ja auch wie ein kleiner Firmenwechsel gewesen“, zieht die 54-Jährige einen Vergleich.

Als Alberto Lombardo seine Ausbildung begann, war das Wembley-Tor noch kein historischer Streitfall, sondern aktuelles Thema. Es war 1966. Lombardo wurde bei der Firma Carl Freudenberg in Weinheim zum Industriekaufmann ausgebildet. Ein halbes Jahrhundert später, im Frühjahr 2016, ging Lombardo mit 66 Jahren in den Ruhestand. Seine Firma, die inzwischen Freudenberg Gruppe heißt, war dieselbe. Ihr war er 50 Jahre lang treu geblieben – sein ganzes Berufsleben.

Die Firma hat Lombardo immer wieder neue Karriereoptionen geboten. Er wurde Gruppenleiter in der Exportabteilung. Lombardo erschloss auf der ganzen Welt – von Nordamerika über Asien bis Australien – neue Märkte im Bereich Haushaltsprodukte. Mit Ende 20 begann er berufsbegleitend ein BWL-Studium. Seine Firma trug die Kosten. 1996 wurde er Geschäftsführer einer Gesellschaft des Unternehmens.

Die Karrieresprünge kamen nicht im Jahrestakt. Mancher Angestellte verliert die Geduld, wenn er gefühlt zu lange auf einer Position hängt. Lombardo nicht: „Es gilt, auch einmal abzuwarten und Leistung zu bringen“, sagt er. Die Chancen für neue Herausforderungen kämen schon – bei ihm kamen sie.

Beschäftigte, die jahrzehntelang für ein Unternehmen arbeiten, sind deutschlandweit die Ausnahme. Nach Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lag die durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauer von Mitarbeitern bei einem Arbeitgeber im Jahr 2008 bei 10,8 Jahren, 2012 bei 11,2 Jahren.

Michael Dick, Professor für Betriebspädagogik an der Universität Magdeburg, beobachtet seit Jahren den Trend, dass Beschäftigungsverhältnisse flexibler werden. Vor allem Nachwuchskräfte würden sich heutzutage eher mit ihrem Beruf identifizieren als mit ihrem Unternehmen. „Junge Menschen sind stärker als früher bereit, für die Karriere Arbeitsplatzwechsel in Kauf zu nehmen“, erklärt der 52-Jährige. Zudem werde die Kernbelegschaft in den Betrieben immer kleiner. Viele Firmen setzen auf befristet angestellte Mitarbeiter, um kurzfristige Auftragsspitzen abzufangen, sagt Dick.