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DGB Sachsen-Anhalt Wiedemeyer übernimmt den Spitzenposten

Der DGB wird künftig von Susanne Wiedemeyer angeführt. Sie kämpft nicht nur für Arbeiter, sondern hat auch ein Herz für Flüchtlinge.

27.09.2016, 23:01

Magdeburg l Arbeiterführer können ab und an Hitzköpfe sein, die lautstark und wortreich für die Interessen der Beschäftigten streiten. Nicht so Susanne Wiedemeyer. Sie ist vom Typ her sehr norddeutsch, sie grüßt freundlich mit einem Lächeln, behält aber ihre Emotionen gerade bei Gesprächspartnern, die sie noch nicht so gut kennt, für sich. Nichtsdestotrotz weiß sie, was sie will. Und wenn sie etwas formuliert, dann ist das klar, eindeutig, pointiert. Ab Oktober wird sie dies als DGB-Chefin in Sachsen-Anhalt unter Beweis stellen.

Wiedemeyer überlegt nicht lang, wenn es darum geht, die Forderung nach „guter Arbeit“ in Sachsen-Anhalt inhaltlich zu untermauern. „Für uns sind hierbei Änderungen in der Wirtschaftsförderung wichtig“, erklärt sie. „Fördergeld sollte künftig nur an Unternehmen mit Tarifvertrag fließen, an Betriebe, die Betriebsräte haben und Betriebsratsarbeit nicht verhindern.“ Sowohl das Land als auch die Kommunen müssten zudem bei der Vergabe öffentlicher Aufträge genauer hinschauen. Noch immer würden Unternehmen, die nach Tarif zahlen, bei Ausschreibungen den Kürzeren ziehen, weil sie von Firmen mit niedrigen Löhnen unterboten werden.

Wiedemeyer spricht hier zwei Themen an, um die sich auch die Kenia-Koalition in den kommenden Jahren kümmern will. Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) und Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) dürfen sich sicher sein, dass die 55-Jährige sie auf diese Themen immer wieder ansprechen wird. „Sowohl Kommunen als auch das Land müssen hier nachsteuern“, fordert Wiedemeyer.

In der Landespolitik ist die neue DGB-Landeschefin längst keine Unbekannte mehr, sie gilt als sehr gut vernetzt und streitbar. „Man merkt bei ihr, dass das für sie nicht nur ein Job ist, sondern dass ihr Engagement von Herzen kommt“, sagt ein Politiker der Linken. „Sie ist auch eine Verlässliche, nicht so sprunghaft wie ihr Vorgänger.“ Der scheidende DGB-Chef Udo Gebhardt war im vergangenen Landtagswahlkampf unter Druck geraten, weil er beim CDU-Parteitag offen Sympathien für Haseloff zeigte. „Dann gib mal Gas, lieber Reiner. Was ich dazu beisteuern kann, werde ich gerne tun“, sagte er damals. Weil es bei Gewerkschaften üblich ist, sich parteipolitisch neutral zu verhalten, dürfte der Fauxpas dazu beigetragen haben, dass der 64-Jährige nun etwas vorzeitig in den Ruhestand geht.

Auf ihren Amtsvorgänger angesprochen, sagt Susanne Wiedemeyer: „Ich arbeite seit zwölf Jahren mit ihm zusammen – da gibt es Sachen, die man übernimmt. Aber es wird auch Sachen geben, die dann anders laufen werden.“

Wiedemeyer selbst kommt nicht gebürtig aus Sachsen-Anhalt. Geboren wurde sie in Freiburg, ihre Kindheit hat sie in Lübeck verbracht, später studierte sie Jura in Bielefeld. 1991 ging sie als junge Juristin dann zum DGB-Rechtsschutz nach Sachsen-Anhalt. „Der Osten hat mich schon sehr interessiert. Ich bin in Lübeck an der Grenze großgeworden. Damals beim Schwimmen in der Ostsee mussten wir aufpassen, dass wir die Grenze nicht überschreiten.“

Die Verwerfungen nach der Wende hat Wiedemeyer insofern genauso miterlebt wie den wirtschaftlichen Aufschwung. „Wir haben heute eine andere Situation insofern, als dass die Arbeitslosigkeit viel niedriger ist, wir haben keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mehr“, sagt sie. Das erleichtere auch die Gewerkschaftsarbeit. „Es gibt wieder mehr Tarifbindung und man kann auch als Gewerkschaft mehr durchsetzen, weil die Arbeitnehmer jetzt stärker dazu bereit sind, für ihre Rechte zu kämpfen.“ Ein zentrales Ziel sei es daher, die Tarifbindung in den kommenden Jahren weiter zu steigern. „Ich denke, dass ein Tarifvertrag Gold ist und der Mindestlohn eben nur Silber.“

Es sind aber nicht nur die Arbeitnehmerinteressen, die Wiedemeyer vertritt. Beruflich und privat setzt sie sich für Demokratie und Toleranz ein. Sie ist Vorsitzende des Bündnisses gegen Rechts, außerdem Vorstandsmitglied im Verein „Miteinander“, dem Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt. Und sie engagiert sich als Vorsitzende des Fördervereins der Islamischen Gemeinde in Magdeburg. Alles Engagements, die sie auch als DGB-Chefin nicht vernachlässigen will.

Jüngst hat sie die Vormundschaft für einen 17-jährigen Syrer übernommen. „Das ist schon nicht leicht“, gibt sie offen zu. Sie erledigt für den Minderjährigen, der in Magdeburg in einer Wohngemeinschaft lebt, die Bürokratie und versucht, mit ihm stets Kontakt zu halten. Aber: „Das ist ein 17-jähriger Mann und der hat keine Lust, sonntags mit einer 55-jährigen Frau Eis essen zu gehen. Doch das ist o.k. – so ist das in dem Alter.“

Wiedemeyer selbst ist Mutter zweier erwachsener Kinder, sie könne daher gut einschätzen, wie junge Leute in diesem Alter ticken. Sie hofft, dass der Junge nun Deutsch lernt, einen Schulabschluss nachholt, später vielleicht eine Chance auf eine Ausbildung bekommt. Trotz aller Schwierigkeiten steht sie zu ihrem Engagement: „Wer, wenn nicht wir, sollte sich hier engagieren?“