Ifa Rotorion Willkommen in Ujest!

Geringe Löhne und niedrige Energiekosten ziehen den Automobilzulieferer Ifa Rotorion nach Polen. In Ujest wird ein neues Werk gebaut.

22.07.2016, 23:01

Ujest l An einem Montagmorgen im November des vergangenen Jahres wählt Ifa-Rotorion-Manager Eckart Reihlen die Nummer von Ewa Dudek. Die junge Frau leitet in der polnischen Gemeinde Ujest das Amt für Unternehmensansiedlungen. Reihlen überbringt gute Neuigkeiten: Der Haldensleber Automobilzulieferer hat Ujest als Standort für ein neues Werk auserkoren.

Gut neun Monate später, am Donnerstagmittag in dieser Woche, hat Eckart Reihlen ein Etappenziel erreicht. Ifa Rotorion legt im Industriegebiet den Grundstein. 400 Arbeitsplätze sollen in den kommenden vier Jahren entstehen. 100 Millionen Euro investiert Ifa Rotorion in die Fabrik. Reihlen ist es gewesen, der sich für den Standort stark gemacht hatte. Viele Jahre hat er in Osteuropa als Manager in der Automobilbranche gearbeitet, zuletzt für Bosch. Reihlen kennt die Gemeinde Ujest, die zur Region Oberschlesien gehört. Ab 2017 planen die Haldensleber im neuen Werk jedes Jahr rund zwei Millionen Seitenwellen herzustellen.

Der Neubau in Osteuropa ist für Ifa Rotorion Zeichen des Aufbruchs: Der Einstieg in das Seitenwellen-Geschäft öffnet die Tür zur Elektromobilität. An drei Standorten (siehe Infokasten) stellt das Unternehmen derzeit Gelenkwellen her. Hauptprodukt ist die Längswelle, die in Allradfahrzeuge verbaut wird und das Drehmoment des Motors auf die hinteren Räder überträgt. Doch der Technologie könnte bei fortschreitender Elektrifizierung der Automobilindustrie das Aus drohen, prophezeien Branchenkenner. US-Elektroautobauer Tesla, tonangebend bei der Entwicklung leistungsstarker Elektromobile, baut seine Autos ohne Längswelle. Stattdessen sorgen vier Seitenwellen für die Kraftübertragung von den Elektromotoren auf die Räder.

In der Geschäftsführung von Ifa Rotorion wird seit langem über die Schlüsse nachgedacht, die das Familienunternehmen aus dieser Entwicklung ziehen sollte: Im Längswellen-Geschäft wird eine stärkere Ausrichtung auf Nutzfahrzeuge kommen. In diesem Segment rechnet Ifa nur mit wenigen batteriebetriebenen Fahrzeugen – vor allem wegen der geringeren Reichweite. Geschäftsführer Felix von Nathusius will zudem die Abhängigkeit seines Unternehmens von einem Produkt reduzieren und das Portfolio erweitern. Den Anfang macht die Seitenwelle, die bald in Polen hergestellt wird.

Damit das Engagement in Osteuropa ein Erfolg wird, setzt von Nathusius auf die Erfahrung von Hermann Woesthenrich. Der 64-Jährige wird in den nächsten Jahren den Aufbau des Standortes leiten und Mitarbeiter einstellen. „Wir rechnen mit rasantem Wachstum“, sagt Felix von Nathusius.

Etwa 500 000 Menschen leben im Umkreis von 30 Kilometern, viele verstehen oder sprechen deutsch. Drei Technische Universitäten in Gleiwitz, Oppeln und Breslau sollen für Ifa Rotorion qualifizierte Mitarbeiter hervorbringen. In Ujest kalkuliert die Chefetage mit einem Stundenlohn von etwas mehr als neun Euro. Am Firmensitz in Haldensleben bezahlt das Unternehmen einem Mitarbeiter je Arbeitsstunde durchschnittlich rund 26 Euro – inklusive Lohnnebenkosten. Das Gehaltsniveau ist niedrig, ebenso Preise für Gas und Strom. In einem vergleichbaren Werk in Deutschland würde Ifa Rotorion jedes Jahr rund drei Millionen Euro mehr für Energie ausgeben, sagt Felix von Nathusius. Auch das ist ein Grund, der die Haldensleber in die polnische Provinz zieht.

Viele Äcker gibt es in der Gemeinde Ujest. Landwirtschaft prägt die Region. Im Dorf grasen Kühe. Kinder spielen Fußball. Die Ruine des ehemaligen Schlosses ist für Touristen liebevoll hergerichtet worden. Sonst ist nicht viel. Noch immer verlässt ein Großteil der jungen Leute die Region, weil nach der Ausbildung die Perspektive fehlt, sagt Piotr Wojaczek, der Geschäftsführer der Sonderwirtschaftszone Kattowitz ist, zu der Ujest zählt. Seit drei Jahren wirbt die Gemeinde offensiv um Ansiedlungen. Mit Erfolg. Das Industriegebiet direkt neben der Autobahn ist gut gebucht. Unternehmen erhalten bis zu 30 Prozent der Investitionssumme als Subvention zurück. Der deutsche Automobilzulieferer Mubea hat gleich neben Ifa gebaut.

Für die Haldensleber ist der Standort in Ujest nach Charleston und Shanghai der dritte im Ausland. Ifa Rotorion wird bei der Expansion durch die Automobilkonzerne getrieben, die gnadenlos an der Kostenschraube drehen. Um die Margen zu erreichen und profitabel zu bleiben, muss Ifa ins Ausland. „Es ist schwer für uns in Haldensleben zu wachsen“, gibt Geschäftsführer von Nathusius zu. Gleichwohl werde die Heimat gestärkt. Im Zuge des Werkbaus in Polen sollen auch in Sachsen-Anhalt 40 neue Arbeitsplätze entstehen. Felix von Nathusius ist ehrgeizig. Von Haldensleben aus will er weiter den Globus erobern. Bis 2025 soll Ifa zu den einhundert größten Automobilzulieferern der Welt zählen.